Palästinenser:Gast ohne Perspektive

Lesezeit: 2 min

Selten war die Lage in Nahost so festgefahren wie derzeit. Berlin würde gerne helfen, doch weder bei den Palästinensern noch bei den Israelis bewegt sich etwas.

Von Stefan Braun, Berlin

Am Dienstag ist in Berlin ein Gast zu Besuch gewesen, der eine besonders bedauernswerte Perspektive hat: nämlich kaum noch eine. Die Rede ist vom Präsidenten der Palästinenser, Mahmud Abbas. Oft schon ist der alte Weggefährte des längst verstorbenen PLO-Chefs Jassir Arafat nach Berlin gekommen. Und selten waren die Chancen so gering, im innerpalästinensischen Machtsystem oder im israelisch-palästinensischen Konflikt auch nur kleine Veränderungen anzustoßen. Die Zeit wirkt wie eingefroren. Daran kann auch die Bundesregierung wenig ändern.

Die Gründe dafür sind nicht auf einer Seite allein zu suchen. Im Gegenteil kommt derzeit vieles zusammen, weshalb auch Berlin kaum Wege sieht, am Stillstand viel zu ändern. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte nach ihrem Treffen mit Abbas, beide würden sich weiter für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, "auch wenn das sehr schwierig" werde. Deutlicher konnte sie kaum zeigen, wie gering ihre Hoffnung ist, dabei viel zu erreichen.

Auch Abbas konnte daran nichts ändern. Dabei bemühte er sich, die Wichtigkeit eines Friedens zwischen Israelis und Palästinensern besonders hervorzuheben. Er betonte gar, dass im Nahen Osten alle Krisen und aller Terrorismus besiegt seien, würde es nur gelingen, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden. Das ist eine Position, die selbst die Bundesregierung seit der Erfahrung mit dem Syrienkrieg nicht mehr teilen würde.

Gleichwohl blieb Merkel bei ihrer Kritik am israelischen Siedlungsbau. Dieser entziehe einer Zwei-Staaten-Lösung Schritt für Schritt die Grundlage, betonte die Kanzlerin. Deshalb sei dessen Ausweitung ein Fehler. Im übrigen könne sie schon verstehen, dass Abbas immer wieder den Weg in den UN-Sicherheitsrat suche, um eine Verurteilung des Siedlungsbaus zu erreichen.

Die Kritik an Israel ändert jedoch nichts daran, dass die Bundesregierung auch die mangelnde Reformbereitschaft der Palästinenser kritisch beäugt. Abbas ist mittlerweile 81 Jahre alt. Trotzdem haben weder er noch die Berater um ihn herum auch nur im Ansatz versucht, einen klugen, mit Autorität ausgestatteten Nachfolger aufzubauen. "Nichts scheint organisiert, alles wirkt wie eingefroren. Und das, obwohl das Ansehen von Abbas auch unter den Palästinensern zusehends schwindet", sagte ein hoher Berliner Diplomat voller Sorge. Auch die Fatah als wichtigste Organisation der derzeitigen Führung müsse dringend einen Kongress und Wahlen organisieren, um sich unter den gemäßigten Palästinensern wieder mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Die letzte Wahl von Abbas zum Präsidenten liegt schon viele Jahre zurück - ein Verzicht aus Angst vor Machtverlust, den Berlin als großes Problem sieht.

Die Bundesregierung verfolgt bei all dem auch eigene Interessen. Nach dem letzten Gazakrieg im Sommer 2014 hat sie mehr als 100 Millionen Euro in den Küstenstreifen gesteckt, um die soziale Lage in Gaza zu verbessern. Wenn die Fatah dort aber nicht mehr Autorität erlangt, auch durch Reformen und Wahlen, könnte das Ganze sinnlos verpuffen.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: