Palästinenser:Ein neuer Feind im Haus

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Jugendliche im Trainingslager der Hamas. In einem Video wirft der IS den sunnitischen Glaubensbrüdern zu große Laxheit beim Scharia-Recht vor. (Foto: Mohammed Abed/AFP)

Die Hamas ist den Konflikt mit Israel gewohnt. Jetzt aber hat sie es auch noch mit dem Einfluss des IS zu tun.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es ist eines jener Videos, in denen bärtige Dschihadisten gegen ihre Feinde wettern. Doch in diesem Fall verteufeln die Kämpfer des Islamischen Staats (IS) nicht die Ungläubigen im Westen und auch nicht die Schiiten, sondern die sunnitischen Glaubensbrüder von der Hamas. Islamisten gegen Islamisten, das ist die neue Front in Gaza. Der IS wirft den Herrschern des palästinensischen Küstenstreifens allzu große Laxheit bei der Durchsetzung des Scharia-Rechts sowie beim Widerstand gegen Israel vor - und droht den "Tyrannen der Hamas" nun mit Sturz und Vernichtung.

Eine Moschee, in der Salafisten beteten, wurde von der Hamas dem Erdboden gleich gemacht

Das Video ist eine Kampfansage. Anders als in Syrien, im Irak und in einigen anderen arabischen Staaten ist der Islamische Staat allerdings bislang im Gazastreifen noch keine wirkliche Macht. Seine Anhängerschaft, die auf etwa 1000 Mann geschätzt wird, speist sich aus einigen salafistischen Gruppen. Aber diese Gruppen wagen sich mittlerweile gefährlich weit vor. Rund ein halbes Dutzend Raketenangriffe auf Israel in den vergangenen Wochen sollen auf ihr Konto gehen. Schäden wurden dabei nicht angerichtet, doch jede einzelne Rakete ist als doppelte Provokation zu verstehen: Nicht nur Israel wird damit herausgefordert, sondern auch die Hamas, die ein Jahr nach dem verheerenden Krieg gegen Israel derzeit kein Interesse daran hat, in eine neue Konfrontation mit dem jüdischen Staat hineingezogen zu werden.

Um die Kontrolle zurückzugewinnen, gehen die Sicherheitskräfte der Hamas seit einiger Zeit im Gazastreifen mit aller Härte gegen die Salafisten vor. Diese werden als Bedrohung betrachtet, weil sie von einem grenzüberspannenden Kalifat träumen, während die Hamas als eine gegen Israel gerichtete nationalistische Bewegung allein für einen palästinensischen Gottesstaat zwischen Mittelmeer und Jordan kämpft. Eine Moschee, in der die Salafisten beteten, wurde dem Erdboden gleich gemacht, Dutzende Männer wurden verhaftet, und bei einer Razzia wurde Anfang Juni der 27 Jahre alte Salafisten-Führer Junis Hunnar erschossen.

Neu ist das Salafisten-Phänomen im Gazastreifen allerdings nicht. Bereits in früheren Jahren gab es immer wieder Konfrontationen zwischen der Hamas und den Ultra-Frommen. Den bislang blutigsten Vorfall gab es im Sommer 2009, als ein Salafisten-Prediger vor Hunderten von Anhängern in Rafah ein "islamisches Emirat" im Gazastreifen ausrief. Die Hamas griff ein, es kam zu Schusswechseln, und am Ende zahlten 22 Salafisten für den Aufruhr mit ihrem Leben.

Im Vergleich zu früheren Jahren aber sind nun die Rahmenbedingungen für ein Erstarken der Dschihadisten weitaus besser. Zum einen treiben ihnen die blutig erkauften Erfolge in Syrien und im Irak weltweit Anhänger zu, und auch in Gaza steigert das ihre Attraktivität. Zum andern ist der vom Krieg verwüstete Küstenstreifen ohnehin ein idealer Nährboden für Extremisten aller Art. Die jungen Männer sind zumeist arbeitslos, perspektivlos und hoffnungslos. Zudem wächst der Ärger über die Hamas, die kaum Erfolge beim Wiederaufbau vorweisen kann, aber in ihrer chronischen Geldnot ständig neue Steuern eintreibt. Oft sind es auch Kämpfer der zur Hamas gehörenden Kassam-Brigaden, die zu den radikaleren Gruppen überlaufen.

Wenn sich nun zwei gefährliche Feinde streiten, heißt das allerdings noch lange nicht, dass Israel sich als Dritter freuen kann. Im Gegenteil: Diese Konfrontation ist keine gute Nachricht für die Regierung in Jerusalem. Schon auf dem Höhepunkt des Gaza-Kriegs im vorigen Juli hatte der scheidende Chef des amerikanischen Militärgeheimdienstes, Michael Flynn, dringend dazu geraten, die Hamas nicht zu zerschlagen, weil dann "etwas noch Bedrohlicheres entstehen könnte".

Lügen gestraft wird durch den Konflikt zwischen der Hamas und den Salafisten Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Er hatte nach dem Krieg vor der UN-Vollversammlung im September erklärt, "der Islamische Staat und die Hamas sind Äste desselben giftigen Baums." Nun aber warnen selbst führende Vertreter seines Sicherheitsapparats davor, dass die Hamas die Kontrolle über Gaza verlieren und Israel ganz neuen Gefahren ausgesetzt werden könnte. Es gilt der alte Spruch, dass der Teufel, den man kennt, immer noch besser ist als der, dessen Kräfte man nicht einzuschätzen vermag.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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