Osteuropa:Atomkraft statt Abhängigkeit

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Osteuropäer wollen sich nicht länger auf russische Gaslieferungen verlassen -auch weil sie Brüssel misstrauen. Es fehlt eine gemeinsame Energiestrategie.

Thomas Urban

Mit dem russisch-ukrainischen Gasstreit ist in den betroffenen Nachbarländern die Stunde der Verfechter von Atomenergie und Kohleförderung gekommen. Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer debattieren Politiker und Medien über Wege, sich unabhängiger von russischen Rohstoffen zu machen.

Ignalina im Nordosten Litauens ist das einzige Atomkraftwerk des Landes - es war einst das modernste und leistungsfähigste Kernkraftwerk der Sowjetunion. In der Nähe von Ignalina plant die litauische Regierung zusammen mit den baltischen Nachbarn und Polen nun ein zweites Atomkraftwerk. (Foto: Foto: dpa)

Die Debatten sind bestimmt von einem tiefen Misstrauen gegenüber Brüssel, weil die EU bislang keine gemeinsame Energiestrategie entwickelt hat.

Der polnische Präsident Lech Kaczynski erinnerte an das vor drei Jahren von Warschau vorgebrachte Projekt einer auf gegenseitiger Solidarität beruhenden "Energie-Nato", die nach dem Motto der "Drei Musketiere" funktionieren sollte: "Alle für einen, jeder für alle!"

Polen plant, gemeinsam mit den drei baltischen Staaten ein neues Atomkraftwerk zu bauen. Es soll unweit des jetzigen litauischen Reaktors Ignalina entstehen. Überdies wird Warschau nach wie vor den Bergbau in Oberschlesien subventionieren, obwohl Kohle aus anderen Herkunftsländern, darunter aus Russland, längst billiger ist.

In Warschau wird außerdem ein neuer Vorstoß der Regierung erwartet, die Ukraine eng an einen noch zu schaffenden Energieverband der EU anzubinden. In Kiew selbst wird wieder über Pläne debattiert, weitere Atomkraftwerke zu bauen. In der Ukraine sind noch elf Kraftwerke aus Sowjetzeiten in Betrieb, vier wurden abgeschaltet. Berater des Staatspräsidenten Viktor Juschtschenko verwiesen nun auf das Projekt, vier neue Atomkraftwerke mit westlicher Technologie in der Ukraine zu errichten.

Kiewer Kommentatoren vertreten die Auffassung, dass dieses Projekt angesichts der Erfahrungen der Ukrainer mit den russischen Nachbarn während der letzten Jahre nun auch eine Chance hätte, bei der Bevölkerung eine Mehrheit zu finden. In den neunziger Jahren hatte die überwältigende Mehrheit der Ukrainer wegen des Unglücks von Tschernobyl im Jahr 1986 Atomkraft grundsätzlich abgelehnt.

Auch in der benachbarten Slowakei, wo Anfang der Woche der "Energienotstand" ausgerufen wurde, wird über neue Atomkraftwerke debattiert. Das Land verfügt bereits über sechs, die etwa 55 Prozent der landesweit benötigten Stroms liefern. Führende Politiker Litauens, Lettlands und Estlands sehen im Setzen auf Atomkraft die einzige Möglichkeit, sich gegen politischen Druck aus Moskau zu wappnen. Deshalb treiben sie mit Unterstützung Schwedens das neue Projekt bei Ignalina voran.

Eigentlich hat sich die litauische Führung verpflichtet, das Werk nach seinem EU-Beitritt bis Ende dieses Jahres vom Netz zu nehmen. Gegen diese Vorgabe aus Brüssel wurde 2007 ein Referendum durchgeführt, seine Initiatoren wollten die Betriebszeit von Ignalina bis zur Fertigstellung des neuen Atomkraftwerkes verlängern. Doch scheiterte das Referendum, weil die vorgeschriebene Stimmbeteiligung verfehlt wurde.

Allerdings sind sich Politiker und Kommentatoren in Wilna einig, dass ein neues Referendum in derselben Sache heute mit einem eindeutigen Sieg der Ignalina-Befürworter enden würde.

Die litauische Regierung hatte vor drei Jahren die strategisch wichtige Ölraffinerie Maziekiu nicht an einen russischen Bieter, sondern an den polnischen Konzern Orlen verkauft.

Wenig später legte eine Explosion zentrale Teile der Raffinerie lahm, in Wilna und Warschau sah man den Geheimdienst Moskaus am Werk, zumal zur selben Zeit die vertraglich vereinbarten russischen Öllieferungen eingestellt wurden. Nach Moskauer Angaben ist die nach Litauen führende Pipeline in marodem Zustand; das Angebot der drei baltischen Staaten und Polens, die Pipeline auf eigene Kosten zu reparieren, blieb indes unbeantwortet. Seitdem versorgt Öl, das Tanker aus dem Nahen Osten bringen, die Raffinerie.

Auch Polen möchte seine Ölhäfen erweitern und außerdem einen Hafen für Flüssiggas bei Swinemünde (Swineujscie) bauen. Dieser soll bis spätestens im Jahr 2013 den Betrieb aufnehmen und somit dazu beitragen, die polnische Abhängigkeit von russischem Erdgas entscheidend zu verringern. Überdies ist eine Pipeline geplant, die Polen mit Skandinavien verbindet, hinzu sollen Stichleitungen aus Deutschland und aus Tschechien kommen.

© SZ vom 10.01.2009/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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