Online-Propaganda:Der seltsame Herr Schmidt

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Angriff aus dem Hinterhalt: Der Wahlkampf wurde gestört. (Foto: Müller-Stauffenberg/imago)

Wie die Grünen während des Wahlkampfs Opfer anonymer Propaganda wurden.

Von Jannis Brühl und Stefanie Dodt, München

Freitagmorgen, 17. März, Frühstück im Berliner Fünf-Sterne-Haus Hotel de Rome. Facebook hat die im Bundestag vertretenen Parteien geladen. Abgesandte des Konzerns sichern ihren Gästen zu, sie seien erreichbar, sollte es nicht fair zugehen auf dem sozialen Netzwerk im Bundestagswahlkampf. Unter den Teilnehmern ist auch Emily Büning, organisatorische Bundesgeschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen. Sechs Monate später nimmt Büning das Angebot an. Sie mailt an ihre Ansprechpartner bei Facebook in Berlin, "weil es eine Seite gibt, die sehr gegen uns hetzt, allerdings gibt es die Person, die im Impressum steht, nicht". Das Logo der Seite ist ein grünes Quadrat, in dem in weißen Buchstaben steht: "Greenwatch".

Der Fall steht für eine Form anonymer digitaler Propaganda, mit der unbekannte Akteure billig, anonym und global in Wahlkämpfe eingreifen können. Möglich wird sie, weil die Anzeigensysteme von Facebook für praktisch jeden offen zugänglich sind - und dabei äußerst intransparent. NDR und Süddeutsche Zeitung waren bei einem Projekt mit der amerikanischen Rechercheorganisation ProPublica auf Greenwatch aufmerksam geworden, mit dem Facebook-Anzeigen gesammelt wurden.

In den Facebook-Anzeigen tauchten Hashtags auf wie #realitätsfremd oder auch #beidenenpieptswohl; kurze Videos erklärten, warum es bei den Grünen wegen deren Atom-, Bildungs- oder Autopolitik angeblich piepe. Die Anzeigen waren professionell gemacht - doch jenen Sebastian Schmidt, der im Impressum genannt wurde, gibt es eher nicht. Der wohnte angeblich in der Herderstr. 18 in Dortmund. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen schauten dort auf die Klingelschilder; Herrn Schmidt fanden sie nicht. Der Greenwatch-Blog, zu dem die Werbung auf Facebook führt, ist registriert über eine Firmenadresse in Malta. Für ihn sei es kein Problem, dass jemand erkläre, warum man sie nicht wählen solle, sagt Oliver Koch, Sprecher der NRW-Grünen. "Aber hier wussten wir nicht, wer uns sozusagen aus dem Hinterhalt angreift". Die Grünen wandten sich an den Facebook-Konzern. Als Antwort erhielten sie Links zu Online-Formularen, dann automatisierte Antworten. Greenwatch postete allerdings weiter.

Die Herausgabe der Identität? Leider nicht möglich. Eine klare Gesetzeslücke

Anfang September schrieben die Berliner Grünen per Anwalt an die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen, wegen "Verletzung von Impressumspflichten". Die Anstalt fragte beim Einwohnermeldeamt und bekam die Auskunft, dass die im Impressum genannte Person nicht eindeutig ermittelbar sei oder eine Auskunftssperre bestehe. Für die Medienaufsicht aber gibt es keine Möglichkeit, von Plattformen die Herausgabe der Identität zu verlangen - eine Gesetzeslücke.

Rund um den Bundestags-Wahltag löschten die Autoren alle Inhalte im Blog, auch die Facebook- und Twitter-Konten, so hatten sie es auch bei Landtagswahl in NRW getan. Es war die Zeit, in der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg erklärte, man sei in Deutschland gegen Tausende Fake-Accounts vorgegangen, in enger Zusammenarbeit mit den Behörden.

Einen Fehler haben die Greenwatch-Macher doch gemacht, als sie im März 2017 ihren Blog registrierten. Sie gaben einen richtigen Namen an und eine zugehörige Handynummer. Ein Mann nimmt ab, bestätigt seinen Namen, doch nach dem Satz: "Ich interessiere mich für Ihren Blog" wird aufgelegt.

© SZ vom 19.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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