Olympiade in Peking:"Propaganda wie Hitler 1936"

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Für den Regimekritiker Wei Jingsheng instrumentalisiert China die Olympischen Spiele 2008, um der Welt seine Macht zu zeigen. Gleichzeitig stocke das Land massiv die Polizei auf - um Proteste während der Spiele zu verhindern.

Edeltraud Rattenhuber

In Berlin findet derzeit die bisher größte Konferenz der chinesischen Demokratiebewegung in Übersee statt. Mehr als 200 Demokratieaktivisten und Dissidenten, die im Ausland leben, diskutieren über die Lage in ihrer Heimat. In China selbst sind die meisten von ihnen bereits vergessen.

Der chinesische Dissident Wei Jingsheng. (Foto: Foto: AP)

Wei Jingsheng, 55, einer der profiliertesten Kritiker des Regimes, lebt seit seiner Exilierung 1997 in den USA. In China saß er 18 Jahre in Gefängnissen und Arbeitslagern. Sein Motto: Auch im Ausland kann man für die Freiheit in China kämpfen, indem man das Internet geschickt nutzt, den Westen über die Kommunistische Partei (KP) Chinas aufklärt und die Spaltungstendenzen in der KP verstärkt.

SZ: Herr Wei, in zwei Jahren finden in China die Olympischen Spiele statt. Was erwartet die Besucher in Peking angesichts zunehmender Einkommensunterschiede in der Bevölkerung und den Tausenden Protesten, die daraus resultieren?

Wei: Bei den Olympischen Spielen geht es China nicht um Sport, sondern darum, dass es der Welt seine Macht zeigen kann. Die Regierung wird Propaganda machen wie 1936 Adolf Hitler in Berlin. Und gleichzeitig beutet sie das Volk aus, damit das Großereignis überhaupt stattfinden kann.

SZ: Peking hat angekündigt, die Einkommensunterschiede zu nivellieren, damit es nicht zu neuen Protesten kommt. Sieht die KP ihre Macht gefährdet?

Wei: Wenn es in China zu Demonstrationen kommt, dann ist die Wut schon sehr groß - Proteste sind ja verboten. Die Regierung sagt, dass sie sich künftig wieder stärker um die armen Bauern kümmern will. Aber was tut sie? Sie stockt die bewaffnete Polizei um 200 000 Leute auf, um besser gegen Proteste vorgehen zu können - auch im Hinblick auf die Olympischen Spiele.

SZ: In der Partei gibt es starke Richtungskämpfe über den weiteren Kurs. Wo stehen Präsident Hu Jintao und sein Premier Wen Jiabao?

Wei: Die beiden stehen von allen Flügeln der Partei unter Druck. Sicher ist: Wenn es auf dem 17. Parteitag der KP 2007 nicht zu grundlegenden Reformen kommt, droht eine Krise im Land.

SZ: Manche sagen, China sei heute kein totalitäres, sondern nur noch ein autoritäres System. Nicht mehr alles steht unter Kontrolle. Nehmen Sie den Anwalt Gao Zhisheng, der medienwirksam für die Rechte der Unterdrückten streitet und bisher nicht inhaftiert wurde.

Wei: Die Regierung ist schlau. Erst kürzlich wurden in China 500 Anwälte, die sich für Protestierende engagieren, ins Gefängnis geworfen. Bei berühmten Dissidenten wie Gao aber zeigt sie Toleranz. Wenn die westlichen Medien kein Interesse mehr an ihm haben, wird das nicht mehr so sein. Schon jetzt hat er keine Anwaltslizenz mehr.

SZ: Vor 40 Jahren entfachte Mao Zedong in China die Kulturrevolution. Sie waren selbst einer der berüchtigten Rotgardisten. Wie denken Sie an diese aufrührerische Zeit zurück?

Wei: Wir sagen heute: Damals waren wir verrückt. Das ist natürlich eine zu einfache Einschätzung. Es war wie unter den Nazis. Es gab keine Rechte mehr.

SZ: Eine öffentliche Aufarbeitung der Gräuel dieser Zeit findet in China auch heute noch nicht statt. Warum?

Wei: Die KP hat damals gesehen, dass die Kraft der Bevölkerung sehr stark ist. Und die Chinesen haben gesehen, dass sie sich auflehnen können. Sie daran zu erinnern, wäre gefährlich für die Partei.

SZ: Auch über das Tiananmen-Massaker von 1989 wird nicht gesprochen. Doch erst kürzlich wurde einem Opfer Entschädigung zugesprochen. Ist das ein Zeichen für eine Neubewertung?

Wei: Nein. Die Partei möchte sich lediglich mit geringen Entschädigungssummen Ruhe erkaufen.

SZ: Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht am 22. Mai Peking. Was geben Sie ihr als Botschaft mit auf den Weg?

Wei: Wenn Peking seine Politik nicht ändert, ist in letzter Konsequenz der Weltfrieden bedroht. Darum müssen die Europäer Druck auf China machen, dass es echte Reformen einführt. Diese sind im Interesse der ganzen Welt.

© SZ vom 17.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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