Odebrecht-Skandal:Noch ist Brasilien nicht verloren

Lesezeit: 2 min

Das Land versinkt im Sumpf der Korruption. Aber: Eine zunehmend kritische Öffentlichkeit macht Hoffnung. Sie diskutierte so politisch wie noch nie. Und ist nicht mehr bereit, die Veruntreuung von öffentlichen Geldern als Teil der Latino-Folklore zu begreifen.

Von Boris Herrmann

Das Brasilien, wie wir es kennen, steht am Abgrund. Da sind sich fast alle politischen Analysten einig. Keinen Konsens gibt es in der Frage, ob man deshalb heulen oder jubeln soll. Versinkt eine immer noch recht junge Demokratie in den Sümpfen der Korruption? Oder erlebt sie bloß ein reinigendes Donnerwetter auf dem Weg zu einer besseren Republik? Apokalypse oder Katharsis, darum geht es dieser Tage.

Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass am Ende die Optimisten recht behalten. Nicht nur in Brasilien, sondern in großen Teilen Lateinamerikas ist etwas ganz und gar Ungewöhnliches im Gange. Etwas, das noch vor wenigen Jahren nahezu undenkbar war: Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse müssen sich vor Korruptionsermittlern fürchten. In Guatemala stürzte deshalb ein Staatspräsident, ein ehemaliger peruanischer Staatschef ergriff die Flucht, das Wort Panama wird heute nicht mit Hüten, sondern mit Papers assoziiert, und in Brasilien ist die Generalstaatsanwaltschaft der gesamten politischen Elite des Landes auf den Fersen. Gestützt auf die Kronzeugenaussage des einstmals einflussreichsten Bauunternehmers Marcelo Odebrecht, dem sogenannten Weltuntergangs-Geständnis, wird nun gegen die Führungsfiguren aller großen Parteien ermittelt, gegen acht aktuelle Minister, gegen alle Präsidenten seit dem Ende der Diktatur 1985 - mit Ausnahme des derzeit regierenden Michel Temer, dem sein wackeliges Amt zumindest vorübergehend Immunität sichert.

Brasilien wird in doppelter Hinsicht seiner regionalen Vorreiterrolle gerecht: beim Ausmaß und der Aufklärung des Betrugs. Seit gut drei Jahren läuft die Anti-Korruptions-Operation Lava Jato, Autowäsche. Die Ermittlungsergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Korruption in höchsten Kreisen war und ist nicht Ausnahme, sondern Regel. Nicht diese Erkenntnis überrascht, sondern die daraus resultierenden Gerichtsverfahren.

Eine neue Generation von Staatsanwälten und Richtern treibt das alles voran. Viele Brasilianer meinen, ohne Rücksicht auf Verluste und zu einem viel zu hohen Preis - nämlich dem des endgültigen Glaubwürdigkeitsverlusts der demokratischen Institutionen. Oft wird auf das Beispiel Italien verwiesen, wo sich Anfang der Neunzigerjahre beherzte Mailänder Richter daranmachten, ihr korrumpiertes Land mit der Aktion Mani pulite ("Saubere Hände") zu reinigen. Tatsächlich beziehen sich die Ermittler der brasilianischen Autowäsche explizit auf das Vorbild der italienischen Handwäsche. Was aber kam am Ende dabei heraus? Der Aufstieg eines Politikers neues Typs mit den alten Korruptionsverstrickungen: Silvio Berlusconi.

Der Berlusconi Brasiliens könnte zum Beispiel der Rechtspopulist Flávio Bolsonaro werden. Ein Waffenfan, Diktaturverherrlicher und Schwulenhasser, der mit großer Vorfreude auf den Kollaps des Systems wartet, um dann mit harter Hand die Aufräumarbeiten zu leiten. Er inszeniert sich als Anti-Politiker, obwohl er seit 1990 im Kongress sitzt. In vielen Umfragen zur Präsidentschaftswahl 2018 liegt Bolsonaro derzeit auf Platz zwei. Das kann aber kein Grund sein, den beginnenden Kampf gegen die Korruption wieder einzustellen.

Noch ist Brasilien nicht verloren. Was Hoffnung macht, ist eine zunehmend kritische Öffentlichkeit, die so politisch diskutiert wie noch nie, die einige Richter und Staatsanwälte inzwischen wie Fußballer verehrt. Es gab Zeiten, da war das, was viele Mitteleuropäer Klüngel nennen, in Lateinamerika kein Skandal, sondern eine anerkannte Wirtschaftsform. Diese Zeiten sind vorbei.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: