NPD-Verbotsverfahren:Der Preis des Erfolges

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Nur wenn alle V-Leute des Verfassungsschutzes enttarnt werden, hat ein neuer Versuch Chancen.

Von Heribert Prantl

Auf 43 Seiten ist alles nachzulesen. Jeder kann sich die Entscheidung vom 18. März 2003 ausdrucken - www. bundesverfassungsgericht.de, Aktenzeichen 2 BvB 1/01. Dort kann man erstens nachprüfen, welche Anforderungen an einen Antrag auf Verbot der NPD gestellt werden - nämlich die Enttarnung aller staatlichen V-Leute, deren Aussagen als Beweismittel gegen die Neonazis präsentiert werden.

Soll das Verbotsverfahren gegen die NPD wieder aufgerollt werden? (Foto: Foto: AP)

Und man hält dann zweitens das Zeugnis einer Blamage sondergleichen in Händen: einer Blamage für drei Verfassungsorgane, für Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung - ausgestellt vom vierten Verfassungsorgan, dem Bundesverfassungsgericht.

Dort ist nachzulesen, warum die drei Anträge auf Verbot der NPD gescheitert sind, warum das Verbotsverfahren eingestellt werden musste, warum das höchste Gericht sich nicht in der Lage sah, in der Sache zu entscheiden: weil nämlich die Verbotsanträge "verschmutzt" waren, weil sie also auf Äußerungen gestützt waren, die NPD-Funktionäre gemacht hatten, welche mehr waren als NPD-Funktionäre. Sie agierten als V-Männer für Verfassungschutzbehörden.

Zur Empörung des höchsten Gerichts hatte sich herausgestellt, dass der Staat in Gestalt von V-Leuten zahlreich in den Führungskadern der NPD vertreten war - so zahlreich, dass da und dort sarkastisch von einer "Staatspartei" NPD geredet wurde.

In den Jahren vor dem Verbotsantrag arbeitete jeder siebte Funktionär aus der NPD-Führungsebene für den Verfassungsschutz, etwa 30 von dreihundert Vorstandsmitgliedern also. Kein Wort davon stand in den Verbotsanträgen, die Aussagen der V-Leute wurden dem Gericht als ganz normales, belastendes Material präsentiert. Die Richter waren empört. Ihnen wurden dann acht Namen bekannt gegeben, aber auch das nur nach heftigem Drängen.

Das reichte dem Gericht nicht. Winfried Hassemer, Vizepräsident des Bundesverfassungsgericht und Vorsitzender des zuständigen 2. Senats, ist Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht; er kennt sich aus mit unzureichendem Beweismaterial.

Sein Senat wollte es nicht akzeptieren, dass aus den vorgelegten Beweisen nur die Aussagen einiger V-Leute wie faule Äpfel herausgeklaubt werden. Das Gericht hatte die Enttarnung aller V-Leute verlangt. Doch die Kläger hatten nur angeboten, "in camera", also in einem Geheimverfahren, alles aufzudecken. Dass das Gericht dabei nicht mitmachen würde, hätte jedem Kundigen klar sein müssen.

Nach dem Scheitern der Anträge ist für alle neuen Anträge klar: Wenn das Verbot so wichtig ist, wie dies die Kläger behaupten, dann müssen alle Geheimhaltungsinteressen zurücktreten. Das galt 2003 - und das gilt 2005. Das Bundesverfassungsgericht hat den Preis für ein Parteiverbot benannt: Ohne totale Enttarnung der V-Leute gibt es keine Prüfung in der Sache. Anders, so das Gericht, sei ein faires Verfahren nicht gewährleistet.

Damals wollten die klagenden Verfassungsorgane diesen Preis nicht zahlen und erhielten dafür die Quittung. Auf dieser stand, aus dem Juristischen übersetzt, Folgendes: Der Zweck heiligt die Mittel nicht. Auch dann, wenn es im Namen des Rechtsstaats gegen eine rechtsstaatsfeindliche Partei geht, müssen die rechtsstaatlichen Prinzipien penibel eingehalten werden.

Wenn das Verbot wirklich wichtig ist, so das Verfassungsgericht, haben die Staatsorgane all ihre Erkenntnisse komplett aufzudecken; im Verbotsverfahren als dem Finale geheimdienstlicher Beobachtung müsse Geheimniskrämerei ihr Ende haben. Wenn aber das Verbot nicht so wichtig ist - dann sollte man es von vornherein bleiben lassen. So, zusammengefasst, das Gericht.

Das sind die Überlegungen, welche die demokratischen Parteien und die Verfassungsorgane auch jetzt anstellen müssen. Als damals die Verbotsanträge formuliert wurden, wussten womöglich nicht alle Antragsteller, das waren Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, von diesen V-Leuten.

Das ist heute anders. Wenn die Herren der Geheimdienste, also die Innenminister des Bundes und der Länder sowie der Bundeskanzler, nicht bereit sind, alle Karten auf den Tisch zu legen, dann braucht man das politische Pro und Contra für ein Verbot gar nicht mehr zu diskutieren.

Die Verbotsanträge seinerzeit waren ein Produkt des "Aufstands des Anständigen", den der Kanzler im Sommer 2000 nach einer Serie von ausländerfeindlichen Anschlägen ausgerufen hatte.

Diejenigen, gegen die er sich richten sollte, lachten sich nach dem gescheiterten Verbot ins Fäustchen und taten so, als seien sie vom Staat auf unanständige Weise verfolgt worden. Indes: Die Schwächen der Verbotsanträge änderten nichts an der Gefährlichkeit der Neonazis. Auch die kann man im Internet abrufen: Sie zeigt sich auf Hunderten von Hetzseiten.

© SZ vom 1.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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