NPD in Mecklenburg-Vorpommern:Ackern mit Ängsten

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Abwanderung, Arbeitslosigkeit, Apathie: Vieles liegt seit Jahren brach im weiten Land, nun wollen die Rechten die Ernte einfahren

Arne Boecker

Teldau/Bartow, im September - Erst als die Kraniche am Horizont aufziehen, merkt man, wie still es in Teldau ist. Mit lautem Trompeten ziehen die Herbstvögel über den Himmel. Dann ruht das Dorf wieder in der Septembersonne. Teldau ist nicht mehr als eine Ansammlung von kleinen Höfen im alleräußersten Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns. Die Elbe, die die Grenze zu Niedersachsen markiert, ist nur ein paar Schlenderschritte entfernt.

In Umfragen liegt die NPD stabil bei sieben Prozent. (Foto: Foto: Reuters)

Seit sechs Jahren lebt Thomas Wulff mit seiner Frau und drei Kindern in Teldau. Das 100 Jahre alte Gutshaus ist verfallen, die Familie bewohnt nur das Mittelstück. Im wild wuchernden Garten lagern Steine, Holz und Gerüstteile. Zum Weiterbauen kommt Wulff derzeit nicht.

Thomas Wulff, 43, nennt sich nationaler Sozialist. Die Bezeichnungen "Neonazi" oder "Rechtsextremist" sind ihm aber genauso recht. Auf dem Hof steht ein Kleinlaster, dessen Ladefläche eine hohe Plakatwand trägt: "NPD - was denn sonst?" In Umfragen liegt die Partei stabil bei sieben Prozent, damit würde sie am Sonntag in den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns einziehen. Wulff ist einer der wichtigsten Strippenzieher der Rechtsextremisten.

Viel Spaß beim Erschrecken

Das Kaminzimmer des Gutshauses ist spärlich möbliert, die beiden Sofas sind zerschlissen. Auf der wuchtigen Kommode thront ein hellbrauner Volksempfänger. Hinter Glas lehnen "Deutsche Heldensagen" an "Illuminati", dem Verschwörungsschmöker von Dan Brown. In der rechtsextremistischen Szene kennt man Thomas Wulff nur unter dem Namen "Steiner". Felix Steiner war einer der Gründer der Waffen-SS. Thomas Wulff bewundert den General. "Wegen politischer Sachen" ist er nach eigener Aussage inzwischen so oft verurteilt worden, dass er "ein bisschen den Überblick verloren hat". Unter anderem hat er wegen Volksverhetzung sechs Monate bekommen, auf Bewährung. In einem Naziblatt hatte Wulff über die "angebliche Massenvernichtung von Juden im Dritten Reich" geschrieben.

Weil immer wieder Zoff die Neonazi-Bünde zerrieb, tüftelten Wortführer wie der gebürtige Hamburger Thomas Wulff, der Niedersachse Thorsten Heise und der Rheinländer Ralph Tegethoff Mitte der neunziger Jahre das Konzept der "Freien Nationalisten" aus. Die akzeptieren keine Führungsfiguren, schließen sich höchstens zu lockeren "Kameradschaften" zusammen. Besonders stark sind sie heute in Vorpommern. Oft handelt es sich bei ihnen um Pöbler oder Schläger. Nach kurzem Nachdenken findet Wulff für sie den Ausdruck "gelegentlich etwas raubeinige Skinheads". Oft fehle denen "der Blick über den Tellerrand", klagt er. In der Regel geben sie sich damit zufrieden, ihren Landstrich zu beherrschen, auch durch Terror gegen Andersdenkende. Dennoch glaubt Wulff, dass die Kameradschaften "der Kitt sein können, der die Bewegung zusammenhält".

NPD, der "parlamentarische Arm der Bewegung"

In den vergangenen Monaten drängten in Mecklenburg-Vorpommern viele "Freie Nationalisten" in die NPD; deren Mitgliederzahl hat sich verdoppelt. Dahinter steckt Thomas Wulff. Zusammen mit anderen "Freien Nationalisten" habe er das Gespräch mit dem NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt und dem sächsischen NPD-Boss Holger Apfel gesucht, sagt Wulff. Er stellt den Deal so dar: Die "Freien Nationalisten" unterstützen künftig die NPD, im Gegenzug gibt die Partei "den Anspruch der Meinungsführerschaft auf". Sie sei jetzt, so Wulff, "eben nur noch der ,parlamentarische Arm' der Bewegung". Wulff selber arbeitet heute als "Persönlicher Referent" Udo Voigt zu. Mecklenburg-Vorpommerns Verfassungsschutz nennt ihn eine "bundesweit wichtige Integrationsperson zwischen freien und parteigebundenen Kräften".

Die Spitze der NPD in Mecklenburg-Vorpommern stammt fast komplett aus dem Westen. Zu dieser Gruppe zählen Landeschef Stefan Köster, Spitzenkandidat Udo Pastörs und auch Thomas Wulff, der Mittler zwischen den Milieus. Sie alle haben sich in den vergangenen Jahren im westlichen Landesteil Mecklenburg angesiedelt. Grundstücke und Häuser sind hier billig. Wie schwierig es jedoch sein wird, West-Chefs und Ost-Basis auf Dauer zusammenzuhalten, bewies die Aufstellung der Kandidatenliste zur Landtagswahl. Es wurde gefeilscht und gestritten, am Ende hieß das Bauernopfer ausgerechnet Thomas Wulff. "Natürlich gibt es Spannungen", sagt er mit süßsaurem Lächeln, "in diesem Fall haben sie eben dazu geführt, dass ich nicht im Landtag sitzen werde."

Breitbeinig und mit verschränkten Armen fläzt sich Thomas Wulff auf das Sofa. Ellenlang kann er referieren. Es mache ihm "ungeheuren Spaß, die Parteien aufzuschrecken". Als die CDU vor einigen Monaten Jürgen Seidel zu ihrem Spitzenkandidaten wählte, belagerten zwei Dutzend NPDler das Tagungshaus in Güstrow. Auf dem Bürgersteig marschierte Thomas Wulff auf und ab, der bei solchen Auftritten immer eine speckige Schiebermütze trägt. Eine halbe Stunde beschallte er den Parteitag per Megaphon mit Parolen. Vom Eingang aus beobachteten Christdemokraten das Spektakel. Wulff erklärt seine starke Stellung in der Neonazi-Szene auch damit, dass er "das gewisse Etwas" habe.

Radau im Kulturraum

Rechtsextremisten wie Wulff können im Osten viel aggressiver und selbstbewusster auftreten als im Westen Deutschlands. Vor allem in den kleineren Orten wird ihnen kaum Widerstand entgegengesetzt. Mancherorts werden sie sogar als Ordner für Dorffeste eingesetzt. SPD, CDU und Linkspartei/PDS sind spät wach geworden. Über Jahre hatten sie das Problem kleingeredet. Vor einem Jahr, als sich der Erfolg der Rechtsextremisten abzuzeichnen begann, verabschiedeten sie gemeinsam im Landtag eine Resolution für "Demokratie und Toleranz". Seit die Umfragen die NPD im Landtag sehen, überschlagen sich die Volksparteien mit Aufrufen, Warnungen und Initiativen. In den Regionalzeitungen erscheinen ganzseitige Anzeigen unter der Überschrift "Wir sind wählerisch!", am heutigen Freitag rocken in Schwerin jede Menge Bands gegen Rechts.

Zwischen Teldau im Südwesten und Bartow im Nordosten liegen fast 200 Kilometer. "Es reicht!", heißt es auf den Wahlplakaten der NPD, die in fast allen Orten Spalier hängen. Und immer wieder: "Wehrt euch!" In manchen Landstrichen hängen zehnmal mehr NPD-Plakate als solche von Parteien, die im Landtag sitzen. Die Linkspartei/PDS, seit acht Jahren zusammen mit der SPD und deren Ministerpräsidenten an der Regierung, hat immer noch die meisten Mitglieder im Land, mehr als doppelt so viele wie die SPD. Während die NPD die Ränder der Gesellschaft ködert, fischt die Linkspartei/PDS in der Mitte. Jedenfalls glaubt man das, bevor man nach Bartow kommt.

Der Kapitalismus braucht nur einen Bruchteil

Mecklenburg-Vorpommern ist nicht nur ein stilles, sondern auch ein weites Land. Das Dorf Bartow liegt ebenfalls im milden Licht des Spätsommers. Straßenarbeiter halten Mittagspause unter Bäumen, Pferde suchen den Schatten hoher Hecken, keiner tut einen Mucks, der nicht muss. Wer jedoch von der B 199 abbiegt, wird jäh aus dem Idyll gerissen. Drei Kilometer rattert und schaukelt das Auto über Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher wollen sorgsam umfahren sein. Dann Bartow: Wie so viele Dörfer in Vorpommern ist es um die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft herum gewuchert, die zu DDR-Zeiten Hunderten Lohn und Brot gab - ob nun Arbeit da war oder nicht. Heute wirtschaftet hier das Landgut Bartow.

Der Kapitalismus braucht jedoch nur einen Bruchteil der Menschen, den der Sozialismus in Beschäftigung gehalten hat. Dafür rollen heute riesenrädrige Trecker und breitmaulige Mähdrescher durch das Dorf. Die modernen Maschinen sehen aus, als hätten sie sich in die Vergangenheit verirrt.

Die Menschen halten ihre Gärten in Ordnung. Früher waren sie darauf angewiesen, sich selbst mit Kartoffeln, Tomaten, Gurken zu versorgen. Die Häuser sind neu oder mit Westware aus dem Baumarkt verkleidet. Gitti, Besitzerin der Gaststätte am Löschteich, liefert dem Kindergarten und alten Leuten noch Essen ins Haus. Das gibt es selbst in dieser ländlichen Gegend nicht mehr oft. Schräg gegenüber der Gaststätte sind Wendegewinner zu besichtigen: Die örtliche Feuerwehr hat - wie so viele Feuerwehren im Osten - ein neues, schmuckes Gerätehaus hingestellt bekommen. Auch in Bartow mangelt es allerdings an jungen Menschen, die löschen, bergen oder schützen.

Heute kommt Peter Ritter nach Bartow. Der 47-Jährige ist Landesvorsitzender der Linkspartei/PDS. Das Wort vor dem Schrägstrich spricht hier allerdings niemand. Etwa zwei Dutzend Bürger sind in den Kulturraum gekommen, mehr Frauen als Männer, wenige unter 60. Jeden Dienstag übt hier der Chor. Als Ritter eintrifft, sitzen die Bürger schon vor Kekstellern und Wasserflaschen. Ritter reißt ein paar Themen an. Eindringlich warnt er vor der NPD. Dann kommt er zu "dem Problem, das wir seit Jahren vor uns hertragen - Arbeitslosigkeit". Vorpommerns Landkreise zählen mit teilweise mehr als 30 Prozent zu denen mit den bundesweit höchsten Quoten. Die Parteien überbieten sich im Wahlkampf darin, die Arbeitslosigkeit zu geißeln - aber niemand weiß sie zu bekämpfen.

"Lügner und Betrüger!"

Als Peter Ritter die Diskussion freigibt, bricht ein Wortgewitter los. "Lügner und Betrüger seid ihr!", krakeelt ein Mann, der vorher ruhig zugehört hatte. Es geht ihm wohl darum, dass er sich schon zu DDR-Zeiten schlecht behandelt gefühlt hat. Das wiedervereinigte Deutschland hat die Sache dann noch schlimmer gemacht. Schuld seien vor allem Politiker und Ausländer. Niemand kann den heftig gestikulierenden Mann stoppen, die Dörfler nicht und Peter Ritter auch nicht. Schließlich springt er auf und rennt hin-aus. Seine letzten Worte hallen im Bartower Kulturraum ein paar Sekunden nach: "Wenn die NPD drankommt, brauchen die nur zehn Jahre, bis Deutschland wieder Weltspitze ist!"

Wer über Wochen den Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern begleitet, bemerkt zwei Unterschiede zur Landtagswahl von 2002. Zum einen kommen weit weniger Menschen. Ministerpräsident Harald Ringstorff und der SPD-Bundesvorsitzende Kurt Beck brachten zum Auftakt in Rostock, der größten Stadt des Landes, gerade mal 300 Menschen dazu, ihren Reden zuzuhören. Zum anderen ist die Unaufgeregtheit, die die Mecklenburger und Vorpommern eigentlich prägt, zum Teil offener Wut gewichen. In Rostock beschimpften Hartz-IV-Bezieher die prominenten Politiker. An ihrer Seite trillerten junge Leute auf ihren Pfeifen, die um den Jura-Studiengang an der Rostocker Uni kämpfen. Der soll weggespart werden.

Eine Frau ringt um Fassung

Im Bartower Kulturraum ist ein bisschen Ruhe eingekehrt. Eine Frau mittleren Alters sagt: "Ich bekomme 189 Euro Hartz IV, wie soll ich davon leben?" Sie sei ganz bestimmt nicht faul und wolle arbeiten, schickt sie hinterher und ringt um Fassung. Mehrfach versucht Peter Ritter, der Frau zu antworten, aber sie spricht einfach weiter. Der Politiker ist für sie Luft. Das Wort "Staat" spuckt sie als Schimpfwort in den Kulturraum. "Die Menschen bei uns im Dorf sind wütend", sagt sie und zuckt mit den Achseln, "aber sie sagen ja nix." Die Frau streicht das Tischtuch glatt, obwohl doch gar keine Falte drin ist. Eine Frage an Peter Ritter hat sie nicht.

Die Tischnachbarin will auch nichts fragen, lieber von sich erzählen. Sie ist schon in Rente. "Jede Familie" sei heute von Arbeitslosigkeit betroffen, sagt sie leise, "meist unsere Kinder oder Enkel". Sie sucht nach Worten, um zu beschreiben, was ihr Angst macht. "Wir können doch nicht..." Sie bricht ab, überlegt und fängt neu an: "Es ist alles so kompliziert geworden." Die Rentnerin verklammert ihre Hände fest vor dem Bauch. Dann lächelt sie verlegen, weil sie Mut braucht, um den nächsten Satz zu sagen, immerhin befindet sie sich ja auf einer Veranstaltung der Linken: "Mein Mann hätte mich ja fast totgeschlagen, aber ich habe mir das auch durchgelesen, was die NPD in ihren Flugblättern schreibt."

Was ist denn bloß in Bartow los: Ist das hier wirklich die Mitte der Gesellschaft? Oder doch eher Rand? Oder greift der Rand nach der Mitte?

Es gerät dieser Tage leicht aus dem Blick, dass es am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur darum geht, ob die NPD in den Landtag kommt oder draußen bleibt. Soll Ministerpräsident Harald Ringstorff weitermachen? Hat seine Partei, die SPD, frische Ideen gegen die Arbeitslosigkeit? Ist Jürgen Seidel der bessere Mann? Schafft der Kombilohn, auf den die CDU setzt, wirklich Arbeitsplätze? Aber Parteipolitik im klassischen Sinn hat im Wahlkampf kaum Platz. Nein, oft geht es um das große Ganze. Auch durch den Bartower Kulturraum wabern Zweifel an diesem System, das man bis 1990 so bewundert hat.

Wohin er auch komme, spüre er "Verunsicherung und Zukunftsangst", sagt Peter Ritter, als er ins Auto steigt, um zum nächsten Termin zu rumpeln. Das geht ihm nahe. Der Mann wirkt müde, weitaus müder als noch im Wahlkampf des Jahres 2002. Auf dem Weg aus dem Dorf lässt Ritter einen Stichweg links liegen, der "Straße der Zukunft" heißt. Auch die Zukunft ist in Bartow mit klobigem Kopfstein gepflastert.

© SZ vom 15. September 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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