Nothilfe:Allein auf hoher See

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Deutsche Reeder beklagen sich bei der Regierung. Sie fühlen sich überfordert durch die Rettungsaktionen, bei denen sie Tausenden im Mittelmeer geholfen haben - und von der Politik im Stich gelassen wurden.

Von Hannah Beitzer

300 Menschen sollen an Bord des Schiffs gewesen sein, mitten im Libyschen Meer. Retten konnten seine Leute nur 120, sagt der Hamburger Reeder Christopher Opielok. Er macht sich Sorgen um seine Mannschaft, die immer häufiger von der Küstenwache alarmiert wird, weil Menschen auf Seelenverkäufern im Mittelmeer treiben. Eben wie neulich, als das Boot mit den 300 Passagieren kenterte, weil die Flüchtlinge in Panik alle auf eine Seite des Schiffes liefen. Seine Leute versuchten, die Menschen auf eine Rettungsinsel zu ziehen. "Kinder rutschten aus den Rettungswesten und ertranken vor den Augen der Mannschaft", erzählt Opielok vom Rettungseinsatz. "Gerade die jüngeren Offiziere sind oft völlig fassungslos." Die Reederei, die mit zwei Spezialschiffen eine Bohrinsel zwischen Malta und der libyschen Küste versorgt, musste in den vergangenen Monaten zwölf Mal Flüchtlinge retten, die Schlepper auf das offene Meer geschickt hatten.

Ein Problem, das viele Handelsschiffe kennen. "Viele unserer Seeleute stoßen bei der Rettung von Tausenden notleidenden Menschen, die auf der Flucht in Seenot kommen, an ihre körperlichen und psychischen Grenzen", schrieb der Verband Deutscher Reeder vergangene Woche in einem Brief an Kanzleramtsminister Peter Altmaier. VDR-Geschäftsführer Ralf Nagel sagt, 40 000 Flüchtlinge seien im vergangenen Jahr von Handelsschiffen vor den Küsten Europas gerettet worden. Seit dem Ende des EU-Programms Mare Nostrum steuerten viele Schlepper bewusst ihre Routen an, weil sie hier auf die Bergung der Flüchtlinge hoffen können.

Auch manche Nothelfer haben Angst: vor Massenpanik und Piraten

Meistens erreicht der Notruf der Seebrüchigen zuerst die italienische Küstenwache. Die schickt das nächste Schiff zu den Flüchtlingsbooten. "Wir können zwar notfalls bis zu 1000 Menschen transportieren, haben aber keine ausreichenden Rettungsmittel für so viele Passagiere an Bord", sagt Opielok. Seine Leute hätten auch schlicht Angst: vor einer Massenpanik und davor, dass sich mit den Flüchtlingen Terroristen oder Piraten an Bord schmuggelten.

Die Mannschaft seiner beiden Schiffe besteht aus jeweils zwölf, 13 Leuten. Sie legen noch auf der Fahrt zur Unglücksstelle Proviant, Wasser und Decken bereit. Alle Räume des Schiffs werden dabei zur Sicherheit abgeriegelt. Während der Kapitän auf der Brücke mit einem weiteren Seemann manövriert, ist der leitende Ingenieur im Maschinenraum. Der Koch bereitet Essen vor, das Rettungsboot wird mit drei Mann zu Wasser gelassen. So bleiben meist gerade einmal fünf Mann an Deck, die sich auf die Übergabe vorbereiten.

Sie sehen sich vielen Hundert Menschen gegenüber, die in schrottreifen Fischerbooten auf dem Meer treiben oder im kalten Wasser ums Überleben kämpfen. "Einige, die unsere Leute an Bord holen, sehen sehr, sehr krank aus", sagt Opielok. Seine Mannschaft trägt deswegen bei der Rettung Schutzanzüge. Nach Sonnenuntergang ist die Kälte ein Problem. "Viele sterben an Deck an Unterkühlung", sagt der Reeder.

Der Reederverband fordert deswegen mehr Rettungseinsätze, etwa Ärzte, die per Hubschrauber auf die Handelsschiffe fliegen können. Sie wollen vor allem nicht alleingelassen werden mit einem Problem, für dessen Lösung sie sich nicht verantwortlichen fühlen.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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