Nicolas Sarkozy:Ist er wirklich größenwahnsinnig?

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In Frankreich ist seit Sarkozys Amtsantritt vieles neu, und es widerspricht der Tradition. Eine Erklärung, was die Franzosen von ihrem Präsidenten halten.

F. Augstein

Als ruchbar wurde, dass der französische Staatspräsident in Moskau für einen Waffenstillstand im russischen Krieg gegen Georgien eintrat, zog Bild über ihn her: "Ist Sarkozy größenwahnsinnig?" In Frankreich könnte dieser Titel nur deshalb verwundern, weil Sarkozys robuste, auf Einschüchterung und Spezlwirtschaft beruhende Medienpolitik darauf abzielt, dass genau solche Sätze nicht veröffentlicht werden.

Nikolas Sarkozy: ein Politiker mit "aristokratischen Allüren" (Foto: Foto: AFP)

Als kleiner Napoleon haben einige französische Präsidenten schon gegolten. Sarkozy hat sich zudem als kleiner "Berlusconi" qualifiziert, was aber die meisten Franzosen gar nicht aufregt, weil sie entweder - siehe oben - nichts davon erfahren oder sich sagen, dass es ja immer schon so gewesen sei.

Politiker bilden in Frankreich eine Kaste, die mit dem Volk nichts zu tun hat. Die Wähler sind daran gewöhnt, dass ihre Präsidenten aristokratische Allüren haben, die sie auch im Privatleben mitunter aus der Staatskasse finanzieren. In Empiremöbeln würden die meisten Kleinbürger gern leben. Das bringt sie der Politikerkaste näher. Davon abgesehen, beruht das Verhältnis zwischen Wählern und Politikern nicht zuletzt auf solider gegenseitiger Verachtung. So war das jedenfalls, bis Nicolas Sarkozy zum Präsidenten gewählt wurde.

Heute top, morgen gefloppt

Seine Präsidentschaft wird in Frankreich als ein "Bruch" mit den Traditionen beschrieben. So hat er sich schon in seinem Wahlkampf vorgestellt, und zumindest in seinem Auftreten macht er das auch wahr. Der Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit beschreibt ihn als "menschlich offen". Und er meint damit nicht bloß Sakorzys Neigung, unschuldige Messebesucher oder Fernsehtechniker zu beleidigen, wenn sie ihm nicht die erwartete Bewunderung zollen.

Nachdem Cohn-Bendit im Straßburger Parlament Sarkozys unkritische Haltung gegenüber der chinesischen Regierung attackiert hatte, habe dieser ihn "drei oder vier Mal angerufen", um ihm seinen Standpunkt nahezubringen. Frankreichs frühere Präsidenten, sagt Cohn-Bendit, hätten so etwas nicht getan. Diese menschliche Direktheit komme bei ihm und den Franzosen gut an.

Sarkozy muss auf die öffentliche Meinung derzeit nicht einmal etwas geben. Er hat im Parlament für seine vielen Gesetzesinitiativen eine sichere Mehrheit. Die Sozialisten sind allesamt nicht bloß farbloser, sondern auch, was unter den Linken aller Länder ja üblich ist, mit Kämpfen im eigenen Lager beschäftigt. Und das wiederum nützt Sarkozy. Er geriert sich - so Cohn-Bendit - als "Präsident, Premierminister und Außenminister in einem", produziert eine Nachricht nach der anderen und belegt die Wahrheit des alten Spruchs, demzufolge jede Berichterstattung einem Politiker zugute kommt.

Der ununterbrochene Schwall von Sarko-News, mit dem die Untertanen eingedeckt werden, half ihm, das Stimmungstief halbwegs zu überwinden, unter dem er im Winter litt, als die Franzosen von seinen Scheidungsgeschichten nichts mehr hören wollten. Einer Umfrage zufolge haben viele Rentner und Pensionäre ihm ihre Gunst wieder geschenkt, als sie von seiner Trauung mit Carla Bruni erfuhren. Derzeit sind immerhin vierzig Prozent der Franzosen mit Sarkozys Regentschaft ganz einverstanden.

Die Franzosen verlassen sich auch den Staat

Den Wählern im berufstätigen Alter hat er eine Art Staatsvertrag versprochen, der in der jüngeren französischen Geschichte neu ist: Wer gut arbeitet, soll auch gut verdienen. Implizit ist damit gemeint, dass unproduktive Arbeit auch nicht mehr gut bezahlt werden soll. Wer wenig produziert, soll auch nicht so viel essen, beziehungsweise - sofern es sich um Immigranten handelt - am besten das Land verlassen. Zusammen mit den Steuervergünstigungen, die Sarkozy den Wohlhabenden einräumt, ist dies das in vielen Staaten seit Jahren angewandte neoliberale Rezept.

In Frankreich ist es neu, und es widerspricht der Tradition. Die besteht darin, dass die Franzosen sich - viel mehr als andere Völker - seit dem Zweiten Weltkrieg auf den Staat verlassen haben. Bauern, Beamte, die Gewerkschaften und die Angestellten der vielen staatlichen Unternehmen erwarteten, dass der Staat sich um sie kümmere, unabhängig davon, wie produktiv ihre Arbeit ist. Mit seinem Aktionismus hat Sarkozy den Leuten Ideen nahegebracht, die ihnen bis dahin fremd waren. Daniel Cohn-Bendit sagt: "Jeder einzelne hofft, dass er von den geplanten Einsparungen nicht betroffen sein wird und seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann."

Weil es Sarkozy an Selbstbewusstsein nicht mangelt, ist er ohne Mandat seiner EU-Kollegen nach Moskau gereist, um einen Waffenstillstand zwischen Russland und Georgien herbeizuführen. Sein Kalkül war nicht falsch: Großbritannien ist den USA verpflichtet. Berlusconi will es sich mit seinem "Freund" Putin nicht verderben. Die Spanier haben andere Sorgen. Und Angela Merkel ist sehr vorsichtig.

"Größenwahnsinnig", sagt der hochangesehene, betagte Diplomat Stéphane Hessel, sei Sarkozys Moskaureise nicht gewesen. Hessel bezweifelt aber, dass Sarkozy sich auf seine Umfragewerte verlassen kann. So sehr sie einen "energischen Leader" schätzten, würden die Franzosen sich mit Sarkozys Wirtschaftspolitik letztlich nicht anfreunden können: "In unserem Land wird großer demokratischer Aufwand betrieben. Wer heute beliebt ist, kann in zwei Monaten erleben, dass die Leute gegen ihn auf die Straße gehen."

© SZ vom 20.08.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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