Nichts Neues seit der Antike:Kleine Phänomenologie der Globalisierung

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Wenn man der Theorie anhängt, dass die Globalisierung keine Erfindung des 20. Jahrhundert ist, sondern so alt wie die Welt, wird man dafür auch die Belege finden. Zum Beispiel in der Völkerwanderung.

Hermann Unterstöger

Nicht nur Theologen, aber sie ganz besonders, verwenden bei Fragen nach dem Wieso, dem Woher und dem Warum gern den Kniff, in die graue Vorzeit zu deuten und zu behaupten, darin sei alles schon "keimhaft angelegt". Indem wir uns dieses Drehs kurz bemächtigen, stellen wir die These in den Raum, dass die Globalisierung in der biblischen Schöpfungsgeschichte, der Genesis, bereits keimhaft angelegt und insofern gewissermaßen ein alter Hut sei.

Der Beleg findet sich im ersten Kapitel der Genesis, wo erzählt wird, dass Gott den Menschen schafft, ihn segnet und ihm dann den Auftrag gibt, die Erde zu füllen und sich untertan zu machen. Das ist nicht anders zu verstehen, als dass der Mensch nicht ewig im Paradies, wo immer das gelegen haben mag, sitzen bleiben kann, sondern sich auf die Socken machen und den Erdball - den Globus - besiedeln soll: der Keim der Globalisierung, wenn nicht alles täuscht.

Zugegebenermaßen sitzt auch hier der Teufel im Detail, genau gesagt in zwei Details. Erstens nämlich war es ursprünglich nicht vorgesehen, dass der Mensch das Paradies verlässt. Man könnte also den göttlichen Auftrag so verstehen, dass der Mensch, nach dem Maß seiner Nachkommenschaft, nur das Paradies immer weiter ausdehnt, bis am Ende der Tage die ganze Welt ein einziges Paradies wäre, worin Milch und Honig fließen, wahlweise Bier und Cola, denn auch im Paradies sind die Geschmäcker verschieden.

Zweitens hat sich, wie man weiß, die Idee des Paradieses zerschlagen. Adam und Eva wurden ausgewiesen, und diesmal klang der Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, gänzlich anders: Verflucht sei die Erde um euretwillen, Dornen und Disteln soll sie euch tragen, im Schweiße sollt ihr euer Brot essen.

Milch und Honig, Dornen und Disteln

So oder so, ob Milch und Honig oder Dornen und Disteln, die Globalisierung war nicht mehr aufzuhalten. Schon Adams Sohn Kain siedelte sich östlich von Eden an (wenn auch nicht, um die internationalen Verflechtungen voranzutreiben, sondern weil er wegen Brudermordes flüchtig war), und ein paar Jahrhunderte später, zu Noahs Zeit, war die Erde gut bevölkert. Leider breitete sich unter den Leuten auch eine gewaltige Verderbnis aus, dergestalt, dass der Herr keine andere Möglichkeit sah, als die Menschheit mittels einer Sintflut zu vernichten - eine Option, mit der auch heutige Globalisierungsgegner oft sympathisieren, selbst wenn sie es in dieser Deutlichkeit kaum je sagen.

Wenn man der Theorie anhängt, dass die Globalisierung keine Erfindung des 20. Jahrhundert ist, sondern so alt wie die Welt, wird man dafür auch die Belege und Phänomene finden. Das mag sich in dem einen oder anderen Fall etwas mühsam anhören, aber in der Sache kann man es, cum grano salis, ganz anständig vertreten. Nehmen wir nur die Völkerwanderung, eine der gewaltigsten Globalisierungsanstrengungen aller Zeiten.

Schon sie war eine Folge grenzüberschreitender Kommunikation, einer passiven allerdings, indem den Germanen aller Stämme zu Ohren kam, dass im Süden, bei den Römern, nicht nur das Klima milder sei, sondern auch sonst alles besser: die Böden, das Essen, das Militär, das technische Knowhow, nicht zu reden von den Bädern und all dem anderen Luxus, von dem sie in ihren finsteren Wäldern sich keine Vorstellung machten.

So zogen sie denn los, die Gepiden und Goten, die Angeln und Sachsen, die Awaren und Heruler sowie, nicht zu vergessen, die Vandalen. Wie nicht anders zu erwarten, kam es zu einem Clash of Civilizations, der sich gewaschen hatte. Der Vorgang selbst muss heftig und oft unerträglich gewesen sein, doch aus heutiger Sicht, vom sicheren Sofa aus, kann man sagen, dass es sich für beide Teile letztlich gelohnt hat.

Den Römern riss es zwar, wie man so sagt, die Beine unterm Hintern weg, aber wer von ihnen den Sturm überstand, dessen Kinder und Kindeskinder standen vor einer neuen, völlig anderen Zukunft. Die Germanen ihrerseits versauten sich zwar zunächst ihren guten Ruf und galten einige Jahrhunderte lang als Typen, die "wie die Heuschrecken" - damals tauchte der von Müntefering später so effektvoll reanimierte Terminus zum ersten Mal auf - über Land und Leute herfielen.

Nach den Wirren aber standen sie als die Globalisierungsgewinner da, weil sie sich erstens viel Besitz angeeignet hatten (und Besitz adelte schon damals seinen Mann) und weil sie zweitens mit dem Umstieg aufs Lateinische an Bildung und Savoir-vivre derart zugelegt hatten, dass sogar notorisch Germanophobe einander zuraunten: ,,Also diese Germanen, wer hätte das gedacht!''

Intres ac invenias!

Apropos Latein: Diese Sprache spielte seinerzeit eine ähnliche Rolle wie heutzutage das Englische, das seiner Übermacht wegen von vielen unter die Langzeitschäden der Globalisierung gerechnet wird. In der Tat war das Lateinische, wherever particular people congregated, die Verständigungs-, Umgangs- und natürlich Konferenzsprache.

Sicher gab es, wie in der Gegenwart, Narren und Übereifrige, die sich, obwohl ihr Laden mit Spezereien vielleicht in der Provinz Noricum stand, also weitab von allen Business-Metropolen, etwas möglichst Schickes an die Ladentür schrieben, zum Beispiel "Intres ac invenias", was dem "Come in and find out" einer modernen Drogeriekette entspräche. Im ganzen erwies sich die global language Latein jedoch als echter Segen, und dass die anderen Sprachen ihretwegen untergegangen wären, kann man nicht behaupten.

Selbstverständlich gab es bei all diesen Globalisierungsschüben vieles, das mit zweifelhaft zu benennen noch freundlich wäre, wobei man sich davor hüten muss, aktuelle Maßstäbe an vergangene Sachverhalte anzulegen. Fragen müssen indessen erlaubt sein, zum Beispiel die, ob man sich im engeren Kreis um Kolumbus über Begriffe unterhielt, die unseren Termini "Entwicklungsländer" oder gar "Schwellenländer" entsprochen hätten, und wenn ja, ob man das guten Gewissens tat.

Interessant wäre es auch zu erfahren, wie das global agierende Handelshaus der Fugger aus heutiger Sicht einzuordnen wäre: als eine Art IWF, als Nichtregierungsorganisation? Schließlich die Missionare, die einem dezidierten Globalisierungsauftrag folgten: "Gehet hin in alle Welt." Aus der dem Gleichnis vom großen Gastmahl entstammenden Devise "Compelle intrare" (Nötige sie hereinzukommen) leiteten manche von ihnen das Recht der Zwangsbekehrung ab, eine Prozedur, die entfernt an die "feindliche Übernahme" unserer Zeiten erinnert.

Blaise Pascal sieht alles Unglück aus einer einzigen Ursache entstehen: dass die Menschen es nicht verstehen, ruhig im Zimmer zu bleiben, "demeurer au repos dans une chambre". Wenn der sprichwörtliche Bauer aus dem Bayerischen Wald sagt: "D' Welt is groß, und hinter Straubing soll s' no weitergehn", deutet auch er an, dass er zwar Kenntnis von den Dingen hinter Straubing hat, aber deswegen noch lange nicht dorthin muss. Pascal lässt grüßen, wie die modische Floskel dafür lautet. Gegen die Globalisierung kommen sie beide nicht an.

© SZ vom 11. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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