Neue Integrationsstudie:Ran an die Mütter

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Türken sind schlechter integriert als alle anderen. Statt auf eine angebliche Verweigerungshaltung zu schimpfen, sollte endlich mit den Müttern gesprochen werden.

Thorsten Denkler, Berlin

Manche würden es "Verweigerung" nennen. Andere sagen, sie wissen es einfach nicht besser. Türken und türkischstämmige Deutsche haben nach einer jetzt veröffentlichten Studie die größten Schwierigkeiten mit der Integration.

Türkische Mütter in Duisburg: Das größte Problem bleiben die Parallelgesellschaften. (Foto: Foto: AP)

Die harten Zahlen: 30 Prozent der Türkischstämmigen haben keinen Schulabschluss, lediglich 14 Prozent das Abitur. Die deutschstämmige Bevölkerung steht hier doppelt so gut da. Auch Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen schneiden in der Regel deutlich besser ab.

"Dramatisch", nennt diese Zahlen die Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer von der CDU. Um im gleichen Atemzug darauf zu verweisen, dass die Zahlen aus dem Jahr 2005 stammten, also aus der Zeit vor ihrem Amtsantritt. Seit dem habe sich viel getan. Die Integrationsgipfel der Bundesregierung etwa hätten Bewegung gebracht. Im Übrigen sei Bildung der "Schlüssel zur Integration" - und damit Länderaufgabe.

Maria Böhmer steht im Verdacht, es sich gerne einfach zu machen. In Migrantenkreisen wird die Integrationsbeauftragte mehr als Regierungssprecherin denn als Fürsprecherin ihrer Belange wahrgenommen. Dass Bildung Grundvoraussetzung für Integration ist, sollte inzwischen hinreichend bekannt sein. Viel drängender ist die Frage: Wie werden die Türken mit solchen Bildungsangeboten überhaupt erreicht?

Integration ist kein Randproblem. Das zeigen die Daten der Studie: In Deutschland leben demnach 15 Millionen Menschen aus anderen Ländern, inklusive derer direkter Nachkommen. Somit haben fast 20 Prozent aller Einwohner einen sogenannten Migrationshintergrund. Die Hälfte davon hat einen deutschen Pass.

Deutschland, heißt es in der Studie, sei die europäische Nation mit den meisten Migranten. Und das wird sich auch nicht ändern: "Weil die Kinderzahlen unter Migranten höher sind als die der einheimischen Deutschen, wächst der Anteil dieser Gruppe, selbst wenn es fortan keine weitere Zuwanderung gäbe."

Die Studie bestätigt: Türkischstämmige Bürger haben unter allen Migrantengruppen die größten Probleme damit, in der Mehrheitsgesellschaft anzukommen. Sie schaffen seltener den Schulabschluss, machen seltener Abitur, beteiligen sich weniger an der Zivilgesellschaft, sind häufiger ohne Arbeit.

Dafür gibt es viele schwer zu beseitigende Gründe. Größtes Problem sind die Parallelgesellschaften. In Berlin-Kreuzberg oder Neukölln sind die Satellitenschüsseln auf türkische Kanäle eingestellt. Im besten Fall werden türkische Tageszeitungen wie die deutsche Ausgabe der Hürriyet gelesen.

Ansonsten wird beim türkischen Schwager eingekauft, beim türkischen Onkel gearbeitet, mit türkischen Freundinnen palavert und mit türkischen Freunden das Teehaus besucht. Binationale Ehen sind die große Ausnahme und nicht gern gesehen. Kontakt zur real existierenden deutschen Mehrheitsgesellschaft haben viele nur, wenn es zum Amt geht oder zum Elternabend in der Schule. Nicht selten, dass dann Mütter ihre Kinder mitnehmen, die ihnen simultan übersetzen. Wer so lebt, sieht kaum noch eine Notwendigkeit, sich zu integrieren.

Wer das mit Integrationsverweigerung gleichsetzt, hat nur zum Teil recht. Die Frauen und Männer, die Jahr für Jahr aus der Türkei nach Deutschland übersiedeln, stammen oft aus rückständigen Dörfern im hintersten Anatolien. Sie kommen ohne Schulabschluss nach Deutschland und wissen vom westlichen Leben nur so viel, wie ihnen ihre fernen Verwandten erzählt haben. Wer seine Felder noch mit Ackergaul und Holzpflug bewirtschaftet, für den erscheint eine Wohnung mit Zentralheizung in einem türkischen Ghetto in Deutschland wie die Erfüllung aller Träume.

Schon die legendäre Berliner Integrationsbeauftragte Barbara John (CDU) hat den immerwährenden Familiennachzug aus diesen Gebieten als größtes Problem für Integration bezeichnet. Mit jeder neu ankommenden Generation müsse wieder bei null angefangen werden.

Viele haben Angst vor dieser Gesellschaft

Aber: Hier hat sich in den vergangenen Jahren etwas getan. Heute wird ein Mindestmaß an Deutschkenntnissen verlangt, bevor man in die Bundesrepublik ziehen darf. Das schafft zumindest eine Voraussetzung, dass sich türkische Frauen und Männer nicht wie Analphabeten vorkommen müssen, wenn sie durch Berliner, Mannheimer oder Bochumer Straßen ziehen.

Erst dann ist es auch möglich, Einfluss auf die Erziehung zu nehmen: Der SPD-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, sagt zu Recht: "Viele Migrantenfamilien sind nach unseren Beobachtungen überfordert mit der Individualerziehung." Ein Nachmittag auf einem Kinderspielplatz in Neukölln bestätigt das.

Dass Kinder in einer hochspezialisierten Wissensgesellschaft frühe Förderung benötigen, davon erfahren viele türkischstämmige Eltern oft zum ersten Mal, wenn die Kleinen in die Schule kommen. Nur ist es dann meist schon zu spät.

Den Schulen und Kindergärten mehr Spielräume, mehr Geld, mehr Personal zu geben, ist unabdingbar, wenn nicht die heranwachsende Generation von türkischstämmigen Kindern die nächste verlorene Generation sein soll. Viel wichtiger aber ist, die Mütter mitzunehmen. Sie zu überzeugen, dass sie mehr für ihre Kinder erreichen können als ein Leben mit Hartz IV, ist die schwierigste, aber eine lohnende Aufgabe.

Viele haben Angst vor diesem modernen Deutschland, wollen sich und ihre Kinder davor bewahren, zu engen Kontakt in dieser so fremden Außenwelt zu knüpfen. Das darf nicht wundern. Dort, wo sie herkommen, gelten klare Regeln und Verhaltensnormen, die aber nicht kompatibel sind mit den Wertevorstellungen und Normen einer freiheitlichen, liberalen Gesellschaft.

Es gibt Ansätze, an diese Frauen heranzukommen. Mütterprojekte in Kreuzberg etwa, in denen sich auch türkische Frauen engagieren. Sie gehen von Tür zu Tür und versuchen Kontakt aufzunehmen und Ängste zu nehmen. Es sind Ansätze, mehr noch nicht. Die Mütter sind die größte Herausforderung für die Integrationspolitik. Werden sie erreicht, muss einem um die Kinder nicht mehr bange sein.

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