Nato in Afghanistan:Klartext von der Kanzlerin

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Im Westen nichts Neues: Angela Merkel analysiert die Lage in Afghanistan - ehrlicher, als sie es bisher getan hat. Leider nur vor ohnehin Gleichgesinnten.

Peter Blechschmidt

Eigentlich war keine aufregende Botschaft zu erwarten. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach vor der Generalversammlung der Internationalen Vereinigung der Transatlantischen Gesellschaften. Da sind die in der Wolle gefärbten Politiker, Diplomaten und Generäle aus den Mitglieds- und Partnerstaaten der Nato unter sich. Man ist sich einig, dass die Nato unverzichtbar und auf gutem Wege sei, dass sich trotzdem einiges ändern müsse - und das wollte man sich von der Kanzlerin bestätigen lassen. Was sie dann auch tat. Im Westen nichts Neues.

Nato-Mission in Afghanistan: Das Ziel einer hinreichenden Stabilisierung sei noch nicht erreicht, sagte die Kanzlerin. (Foto: Foto: AP)

Doch dann nahm Merkels Berliner Rede eine überraschende Wende. Als die Kanzlerin von Afghanistan als der Herausforderung schlechthin für die Nato zu sprechen begann, wurde sie unerwartet deutlich. Das Ziel einer hinreichenden Stabilisierung Afghanistans sei noch nicht erreicht, räumte sie ein. Erst wenn dies geschafft sei, könne der Westen abziehen. Ohne dass die Afghanen ihre eigene Verantwortung für den Aufbau des Landes wahrnähmen, arbeite die internationale Gemeinschaft ins Leere.

So klar, so ausführlich und so entschieden hat sich die Kanzlerin noch nie zu Afghanistan geäußert. Bislang schien es, als sei ihr die Beschäftigung mit dem Thema lästig, ja unangenehm, weil der Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung unpopulär ist und eigentlich nur Ärger bedeutet. Wenn Verteidigungsminister Franz Josef Jung von Kampfeinsatz oder Gefallenen redete, bekam er einen Rüffel aus dem Kanzleramt: Das sei Kriegsrhetorik, und die sei fehl am Platze.

Als die Nato vor Monaten um Awacs-Flugzeuge zur Luftraumüberwachung in Afghanistan bat, wollte Merkel das Thema still übergehen, um es aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten. Im Bundestag raffte sich die Kanzlerin in bisher gerade mal drei Reden zu einer kurzen Versicherung auf, dass Deutschland am Einsatz in Afghanistan festhalte. Der Vorwurf, die Bundesregierung tue nicht genug, um die deutsche Bevölkerung von der Notwendigkeit und Richtigkeit des Afghanistan-Einsatzes zu überzeugen, trifft - gerade angesichts der steigenden Zahl gefallener deutscher Soldaten - auch und vor allem Merkel.

Das Gefühl, dass der Afghanistan-Einsatz ins Leere zu laufen droht, macht sich in der Bevölkerung und besonders unter den dort eingesetzten Soldaten immer mehr breit. Wenn Gebiete auch in Nord-Afghanistan zu No-go-Areas für die westlichen Truppen werden, weil sie mit ihren gepanzerten Fahrzeugen dorthin nicht mehr vordringen können, wird der militärische Auftrag unerfüllbar. Wenn Soldaten Zivilisten nicht mehr an sich heranlassen, weil sie fürchten müssen, dass unter dem weiten Kittel eine Sprengstoffweste versteckt ist, kann man die vielzitierten Herzen und Köpfe der Menschen nicht gewinnen.

In dieser allgemeinen Ratlosigkeit hat Merkel ein deutliches Signal gesetzt. Gewiss, dem Kampf gegen Terror und dem Aufbau ziviler Strukturen ein afghanisches Gesicht zu geben, ist seit langem Bestandteil jeder offiziellen Rhetorik. Allein, in der Realität war davon nicht viel zu spüren. Wenn die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung bekundet, dass sie das Vertrauen in eine bessere Zukunft verloren hat, dann liegt das auch am Versagen der eigenen politischen Führer.

Dies zu betonen, war eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Angesichts bisheriger Versäumnisse war es jedoch notwendig und ein lange vermisster Beitrag zu mehr Ehrlichkeit in der Afghanistan-Debatte. Das Eingeständnis der Defizite kann helfen, in der Bevölkerung mehr Zustimmung zum Engagement am Hindukusch zu wecken. Schade nur, dass Merkel diesen Vorstoß lediglich vor ohnehin Gleichgesinnten und nicht vor der breiten Öffentlichkeit des Bundestages gewagt hat. Das könnte sie nachholen. Am Donnerstag entscheidet das Parlament über die weitere Beteiligung an der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom.

© SZ vom 12.11.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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