Nahost-Konflikt:Kampf am Bau

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Der Palästinenser Abu Rahmeh will die Errichtung von Israels Betonwall stoppen. Er liebt das Risiko und große Worte, vor allem aber liebt er Che Guevara.

Tomas Avenarius

"Che" ist da, wo die Tränengaswolken am dichtesten sind: in vorderster Front. Ashraf Ibrahim Abu Rahmeh läuft vor den anderen durch den Olivenhain, den steilen, steinigen Hang hinunter. Zur Mauer, wo die Bagger und Bulldozer arbeiten, wo die israelischen Soldaten warten.

"Wo Tyrannei herrscht, bin ich zu Hause", sagt Abu Rameh, genannt "Che", über sich. (Foto: Foto: ave)

Die anderen, das sind gut 150 palästinensische Demonstranten, israelische und internationale Friedensaktivisten und eine Handvoll ultra-orthodoxer Juden. Die, gekleidet in ihre schwarzen Gehröcke und Hüte, haben sich Schilder unter den Arm geklemmt: "Volle Souveränität für die Palästinenser" und "Eure Nazi-Ghettomauer kann eure Verbrechen nicht verstecken".

Abu Rahmeh sucht das Risiko und liebt die großen Worte. Er ist vor einigen Monaten auf einen Kran gestiegen, mit dem eine der rund um das Dorf Neilin liegenden israelischen Siedlungen gebaut wird. Erst nach fünf Stunden konnte die israelische Armee ihn herunterschaffen: Zeit genug, eine palästinensische Flagge vor den Kameralinsen internationaler Fernsehteams zu schwenken. Seitdem ist Rahmeh ein Volksheld in Neilin und den umliegenden Dörfern. "Der Che Guevara von Neilin schaffte es, den Bau der Mauer für fünf Stunden aufzuhalten", steht auf einem Plakat. "Die internationale Gemeinschaft hat dies in all den Jahren nicht für eine Minute zustande gebracht."

"Che" Abu Rahmeh zeigt im Tränengasdunst auf die israelischen und ausländischen Mitstreiter zwischen den Olivenbäumen und sagt: "Unser friedlicher Kampf ist erfolgreich. Wir haben internationale Unterstützung." Ansonsten verläuft der Protest gegen die Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten an diesem Nachmittag so, wie er meist verläuft: Die Demonstranten versuchen, die Bauarbeiten zu stoppen, ein paar palästinensische Jugendliche schleudern Steine, die Soldaten schießen mit Tränengas und Gummigeschossen. An diesem Tag gibt es fünf Verletzte und keine Toten. Im Nachbarort Beilin war vor wenigen Wochen ein 17-jähriger Palästinenser von den Soldaten erschossen worden, kurz darauf ein Elfjähriger.

Die Dörfer Neilin und Beilin sind Zentren des Widerstands gegen die Mauer. Die israelische Regierung baut sie seit gut fünf Jahren zwischen ihrem Staat und dem besetzten Westjordanland. Israel spricht von einer "Anti-Terror-Sperranlage" gegen Selbstmordbomber. Aber der scheidende Premier Ehud Olmert hat indirekt eingeräumt, dass dies nur die halbe Wahrheit ist: Der Verlauf entspreche den zukünftigen Grenzen des Staates Israel.

Das verstößt gegen internationales Recht: UN-Resolutionen und Nahost-Friedenspläne fordern Israel auf, alle besetzten Gebiet zu räumen und die endgültigen Grenzen entlang der Linien vor dem Nahostkrieg von 1967 zu ziehen. Im Sechs-Tage-Krieg hatte die israelische Armee das Westjordanland und den Gaza-Streifen besetzt.

Verurteilt hat das 2004 auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag: Der Verlauf von Mauer und Zaun - 20 Prozent der Sperre sind Mauer, der Rest Stacheldraht samt Gräben - sei illegal. Das tief ins Westjordanland gebaute Bollwerk stehle und zerstückele das Land der Palästinenser und verhindere die Gründung eines lebensfähigen Palästinenserstaats.

Gewaltloser Kampf gegen die Mauer

"Che" Abu Rahmeh ist seit gut drei Jahren Anti-Mauer-Aktivist. Er taucht in jeder Stadt des Westjordanlands auf, in der gegen den Mauerbau und die israelischen Siedlungen protestiert wird. Er sagt: "Wo Tyrannei herrscht, bin ich zu Hause. Das hat Che Guevara gesagt. Bei mir ist das genauso." In den vergangenen Wochen kam der Palästinenser erneut in die Schlagzeilen: Israelische Soldaten hatten den 27-Jährigen während einer Ausgangssperre festgenommen. Ein Soldat schoss dem Gefesselten dann auf Befehl seines Offiziers aus nächster Nähe mit einem Gummigeschoss in den Fuß.

Eine Frau aus Neilin hatte die Tat gefilmt: Mit Hilfe der israelischen Friedensorganisation B'Tselem veröffentlichte Rahmeh das Video, das international Aufsehen erregte. Die Armee war bloßgestellt. Ihre Führung aber urteilte milde, rügte und versetzte den Offizier. Abu Rahmeh zog vor ein israelisches Gericht, das Urteil steht aus.

Weit über den Fall Rahmeh hinaus ist Neilin ein neuartiges Beispiel in dem jahrzehntelangen Konflikt. Die Palästinenser üben sich im gewaltlosen Widerstand und finden Unterstützer in Israel. Abu Rahmeh sagt: "Unser gewaltloser Kampf gegen die Mauer, das ist die dritte Intifada." Auch das ist ein großes Wort: Die erste Intifada war der Aufstand Steine werfender Palästinenser gegen die Besatzungsmacht - am Ende kamen Israelis und Palästinenser an den Verhandlungstisch und unterschrieben das bis heute nicht umgesetzte Oslo-Friedensabkommen. Die zweite Intifada war der Krieg der Selbstmordbomber: Dutzende Zivilisten starben in israelischen Städten, Israels Armee verübte Raketenattentate auf militante Palästinenserführer, der Oslo-Friedensprozess zerfiel in Stücke.

Der Che von Neilin will nun sein Glück vor Gericht versuchen. Falls er denn zum Prozess nach Israel einreisen darf: "Bis jetzt habe ich noch keine Genehmigung."

© SZ vom 20.09.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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