Nahost:Israel widerruft Friedensgeste

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Nach dem Anschlag in Tel Aviv verweigert Netanjahu 80 000 Palästinensern die Einreise.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israels Regierung will mit Härte auf den Terrorangriff reagieren, bei dem am Mittwochabend in einem Ausgehviertel von Tel Aviv zwei palästinensische Attentäter vier Menschen erschossen und 16 weitere verletzt haben. Premierminister Benjamin Netanjahu berief das Sicherheitskabinett ein und kündigte eine "Serie offensiver und defensiver Schritte" an. Es müssten nicht nur die Hintermänner gefasst, sondern auch "weiteren Fällen vorgebeugt werden". Als erste Reaktion wurden mehr als 80 000 Einreisegenehmigungen für Palästinenser widerrufen. Sie waren zuvor als Geste des guten Willens für den gerade begonnenen Ramadan erteilt worden. Zudem wurden einige Hundert Soldaten zusätzlich ins Westjordanland verlegt. Die Hamas kündigte unterdessen neue Anschläge während des Fastenmonats an.

Der Anschlag im Sarona-Viertel trifft Tel Aviv ins Herz: Die einst von deutschen Templern erbaute Anlage, die gegenüber dem Verteidigungsministerium und dem Hauptquartier der Armee liegt, war gerade erst restauriert worden und mit Kneipen und Restaurants schnell zum beliebten Treffpunkt avanciert. Auch die Attentäter hatten in einem der Cafés gesessen und dort noch ein Dessert bestellt, bevor sie aufsprangen und wild um sich schossen. Beide wurden anschließend überwältigt, einer von ihnen dabei verletzt. Es handelt sich Polizeiangaben zufolge um zwei 21 Jahre alte Cousins aus einem Dorf nahe Hebron im Westjordanland. Sie waren den Sicherheitsbehörden zuvor noch nicht aufgefallen.

Die Gemeinde der Attentäter wurde abgeriegelt. Die Gegend gilt als Hochburg der Hamas

Regierungschef Netanjahu war noch am Abend unmittelbar nach der Rückkehr von einer Russland-Reise zum Anschlagsort geeilt. Begleitet wurde er vom frisch ernannten Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, der in der Vergangenheit nach solchen Terroraktionen stets besonders harte Strafmaßnahmen propagiert und der Regierung ein zu lasches Vorgehen vorgeworfen hatte. Das Blutbad von Sarona könnte nun zum ersten Härtetest seiner Amtszeit werden. Aus der Regierung heraus forderte bereits der für Geheimdienste zuständige Minister Israel Katz eine "außergewöhnliche Antwort Israels". Nach diesem Anschlag müsse das Heimatdorf der Attentäter "eine heftige Behandlung erfahren, die noch für Jahre in Erinnerung bleibt".

Die Attentäter von Tel Aviv kamen aus der Gemeinde Yatta im Westjordanland. Der Ort wurde inzwischen von israelischen Soldaten abgeriegelt. (Foto: Abed Al Hashlamoun/dpa)

Die betroffene Gemeinde Yatta in der Hügellandschaft südlich von Hebron wurde von der Armee abgeriegelt. Die Gegend gilt als Hochburg der Hamas, rund 40 Prozent aller Attentäter bei der im Oktober begonnen Anschlagsserie kommen aus dieser Region. Bisher aber erschienen die Angreifer zumeist als Einzeltäter ohne weit geknüpftes Netzwerk. Vom Gazastreifen aus begrüßte die Hamas nun überschwänglich die jüngste Terrortat, ohne direkt die Verantwortung zu übernehmen. "Ruhm und Glückwünsche den Einwohnern Hebrons", twitterte ihr Anführer Ismail Hanija. Aus Hebron selbst wurden Freudenfeuerwerke aus Anlass des Anschlags gemeldet, in anderen palästinensischen Städten wurden Süßigkeiten verteilt.

Tel Aviv ringt unterdessen am Tag danach um Fassung. Die israelischen Sicherheitskräfte wurden verstärkt, der örtliche Polizeichef rief jedoch die Bevölkerung dazu auf, "zu ihrem normalen Leben zurückzukehren". Auch der Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai warnte, "das ist die Realität, mit der wir leben müssen". Im Max-Brenner-Café von Sarona, in dem die Attentäter am Abend zuvor noch den Nachtisch bestellt hatten, sitzen am Morgen bereits wieder die ersten Gäste beim Frühstückscroissant. Belagert werden sie allerdings von den Fernsehteams, deren Kameras Spalier stehen vor der Gäste-Terrasse. Ein Reporter interviewt eine Angestellte für die Frühnachrichten. Seine Frage lautet: "Glauben Sie noch an den Frieden?"

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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