Nahost:Dreikampf um Gaza

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Zurückgefeuert wird auf jeden Fall - egal, ob die gegen Israel gerichteten Raketen von der palästinensischen Hamas oder Salafisten stammen. Ein Palästinenser-Mädchen nach einem Angriff auf Gaza-Stadt. (Foto: Mohammed Abed/AFP)

In der alten Feindschaft zwischen Israel und der Hamas gibt es einen weiteren Akteur: Dschihadisten, die die Gegner gegeneinander ausspielen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

In der keineswegs guten alten Zeit ist der Kampf um Gaza zumindest übersichtlich gewesen. In der Arena standen sich die palästinensische Hamas und die israelische Armee gegenüber, sie tauschten Raketenfeuer aus und ließen den Konflikt je nach Interesse von Zeit zu Zeit in einen Krieg eskalieren. Einfach, zynisch, blutig. Nun aber taucht verstärkt eine dritte Kraft auf dem Schlachtfeld auf, die in erklärter Feindschaft zum jüdischen Staat wie zur Hamas steht. Salafisten aus dem Gazastreifen feuern auf eigene Rechnung Raketen auf Israel ab. Ihr Kalkül: Sie heizen den alten Zweikampf an, um am Ende als siegreiche Dritte dazustehen.

Wie kompliziert und gefährlich diese seltsame Dreiecksbeziehung ist, wurde in dieser Woche gleich zweimal deutlich. Am Mittwoch feuerten die Salafisten eine Rakete auf die israelische Grenzstadt Sderot ab, die niemanden verletzte, aber nur um hundert Meter einen Kindergarten verfehlte. Am Donnerstag folgte eine Mörsergranate. Israels Armee reagierte nach altem Muster mit Beschuss und Luftangriffen - und wie in solchen Fällen üblich waren Hamas-Stellungen im ganzen Gazastreifen das Ziel dieser Vergeltungsaktion.

Mit einer Rakete wurden zwei Ziele verfolgt - vertrauend auf die üblichen Reflexe

Dabei war auch im israelischen Generalstab jedem klar, dass die Hamas rein gar nichts mit diesem Beschuss zu tun hatte. Denn in einem Bekennerschreiben hatte sich eine Salafisten-Truppe aus Gaza, die sich als palästinensische Filiale des sogenannten Islamischen Staats (IS) versteht, prallstolz zum Angriff bekannt. Dies sei "Teil des ständigen Dschihad gegen die Juden" und zugleich Vergeltung dafür, dass die Hamas mehrere ihrer Mitglieder inhaftiert habe. Gedroht wurde überdies mit einer Intensivierung der Angriffe auf Israel, wenn die Hamas die eingekerkerten Gesinnungsgenossen nicht umgehend freilasse.

Mit einer Rakete wurden also gleich zwei komplett konträre Ziele verfolgt - in der Gewissheit, dass die alten Reflexe greifen und Israels Armee die Hamas im Sinne der Salafisten bestraft. Dass dies für Israel ein Dilemma darstellt, lässt sich Verteidigungsminister Avigdor Lieberman allerdings überhaupt nicht anmerken. Augen zu und durch, so scheint die Devise zu lauten. Er rechtfertigt das israelische Standardbombardement damit, dass die Hamas schließlich das Sagen habe im Gazastreifen und deshalb für jeden Beschuss verantwortlich gemacht werde. "Wir suchen kein Abenteuer im Gazastreifen und drängen uns nicht nach einer Eskalation mit der Hamas", sagte er. "Aber wir sind fest entschlossen, unsere Bürger zu schützen, und in diesem Punkt wird es keine Kompromisse geben." Bestenfalls steckt dahinter das Kalkül, die Hamas durch schmerzhafte Schläge dazu anzutreiben, gegen die Salafisten vorzugehen. Dies jedoch tun die Herrscher des Gazastreifens seit Längerem schon aus reinem Eigeninteresse. Bei beiden Gruppierungen handelt es sich um sunnitische Islamisten. Im Unterschied zur Hamas verfolgen die Salafisten jedoch keine nationalistischen Ziele. Sie wollen keinen Palästinenserstaat vom Mittelmeer bis zum Jordan, sondern kämpfen für ein grenzüberschreitendes Kalifat. Als 2009 ein Salafisten-Prediger im Gazastreifen ein "islamisches Emirat" ausrief, griff die Hamas so entschlossen ein, dass am Ende 22 Tote zu beklagen waren. Gewalt- und Verhaftungswellen gab es auch voriges Jahr und kürzlich wieder. Zu besiegen sind die Salafisten offenbar nicht, vielmehr scheinen sie zu erstarken. Dies dürfte daran liegen, dass im verelendeten Gazastreifen Dschihadisten aller Art den idealen Nährboden finden.

Die Salafisten also wissen die Zeit auf ihrer Seite. Mit jeder Rakete, die sie abfeuern, können sie sich dem palästinensischen Volk als wahre Kraft des Widerstands gegen Israel präsentieren. Die Hamas dagegen kann schnell in den Ruch der Kollaboration geraten, wenn sie die Salafisten dafür bestraft, dass sie sich mit Israel anlegen. So arbeiten die Dschihadisten beharrlich daran, Israel und die Hamas in einen neuen Krieg zu treiben. Auch wenn beide Kontrahenten bekunden, dass sie daran kein Interesse haben, dürfte eine solche Dynamik nicht aufzuhalten sein, sobald eine Salafisten-Rakete ernsthaft Schaden in Israel anrichtet. Verteidigungsminister Lieberman hat stets angekündigt, dass unter seinem Kommando im nächsten Krieg die Hamas nicht nur bestraft, sondern gestürzt wird. Die Salafisten stehen gewiss gern bereit, das Vakuum zu füllen.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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