Nahost:Abbas' Warnung

Der Palästinenser-Präsident kündigt die Osloer Verträge.

Von Peter Münch

Zu den Ritualen des Nahostkonflikts gehört das jährliche Rededuell des Palästinenser-Präsidenten und des israelischen Premiers vor den UN in New York. Wer jedoch im Schatten des Iran-Abkommens und des Syrien-Krieges noch Aufmerksamkeit bekommen will, darf nicht kleckern, sondern muss klotzen: Statt wie üblich den Stillstand im Friedensprozess zu beklagen, hat Mahmud Abbas deshalb kurzerhand den ganzen Friedensprozess beerdigt und de facto die Osloer Verträge aufgekündigt. Das ist ein Knaller, der die Welt aufhorchen lassen muss. Und nun?

Nun geht es weiter im Konjunktiv: Wenn Abbas seine Ankündigung ernst meinen würde, dann müsste er sofort zurücktreten und die Palästinensische Autonomiebehörde auflösen. Er müsste auf Milliarden-Zahlungen aus dem Westen verzichten und würde 160 000 öffentliche Bedienstete arbeitslos machen. Obendrein müsste er die Sicherheitskooperation mit Israel einstellen und die Palästinensergebiete der Anarchie überlassen.

All das wird er kaum wollen, können und tun. Ein sofortiger Kollaps des Status quo ist also nicht zu befürchten. Doch genauso klar ist, dass dieser Status quo nach 50 Jahren israelischer Besatzung und 20 Jahren verlorener Hoffnung seit Oslo nicht haltbar ist. Abbas ist noch der beste Garant für Ruhe, aber auf diesem Kurs hat er inzwischen auch sein eigenes Volk nicht mehr hinter sich. Wer ihm nachfolgt, wird radikaler sein - das sollte die Welt wirklich aufhorchen lassen.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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