Nachruf:Jutta Courage

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Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, ist tot. Sie war eine starke Vertreterin eines starken Staates.

Von Heribert Prantl

Andere fordern innere Sicherheit. Diese Frau hatte sie. Sie besaß ein gelassenes Selbstbewusstsein und ein unerschütterliches Vertrauen in die Grundrechte. Sie war Jutta Courage. Eine zerbrechlich wirkende, aber starke Vertreterin des starken Staates - freilich in anderer Weise als die vielen Innenminister, die mit immer neuen Verschärfungen innere Sicherheit verbessern wollen. Jutta Limbach hielt nichts von Krachmacherpolitik. Für sie war der starke Staat derjenige Staat, der weiß, "dass die Menschen- und Bürgerrechte die besten Garanten der inneren Sicherheit sind".

Diese Überzeugung hat sie sich nicht nehmen lassen - nicht als Justizsenatorin in Berlin, nicht als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, nicht als Chefin des Goethe-Instituts. Zu ihren Stärken zählte, dass man sie leicht unterschätzte. So erging es seinerzeit, 1989, den Genossen im rot-grünen Senat von Berlin. Die glaubten, sie hätten mit der neuen Justizsenatorin - einer ziemlich unbekannten Rechtsprofessorin - leichtes Spiel. Männer hatten ihre Ambitionen auf Senatorensessel dem Vorhaben des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper opfern müssen, den Senat zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Limbach hatte keine Hausmacht in der SPD; dafür einen liebenswürdigen, unbeugsamen Eigensinn. Machtpolitisches Kalkül traute man ihr nicht zu, aber sie kannte die Spielchen und konnte mit ihnen umgehen: nicht mit brachialer Attitüde, sondern mit diplomatischem Gespür und bewundernswerter Argumentationskraft. Sie brachte es fertig, ihre Gedanken so zu vermitteln, dass ihre Gesprächspartner glaubten, es wären die eigenen.

So hat sie Auseinandersetzung um Auseinandersetzung gewonnen, so hat sie ab 1994 als Vorsitzende den Zweiten Senat des Verfassungsgerichts geleitet, so war sie als Präsidentin. Bei ihr gab es Kaffee und Kuchen, bei ihr standen die gut gefüllten Obstschalen, bei ihr fühlte man sich - bei allem Respekt - zu Hause, weil sie zuhören konnte und einem das Gefühl gab, dass es für sie jetzt nichts Wichtigeres gab als dieses Gespräch. Ein früherer Kollege von ihr hat über sie einmal gesagt, sie könne "ohne Überlegenheitsgestus Autorität vermitteln". Das konnte sie wirklich.

Miss Marple war ihr Spitzname - weil sie ein wenig an die schrullige Jungfer mit dem scharfen Verstand aus den Krimis von Agatha Christie erinnerte; zumal dann, wenn sie ihre Blümchenkleider trug. An dieser Miss Marple biss sich auch ein Otto Schily die Zähne aus. Als der damalige Bundesinnenminister mit ihr wegen des dann gescheiterten NPD-Verbots telefonieren wollte, hat sie ihn nicht einmal durchstellen lassen.

Einmal ist sie mit all ihren Gaben gescheitert; und dieses Scheitern hat sie all die Jahre seitdem verfolgt. Als Karlsruhe über die Verkleinerung des Asylgrundrechts zu entscheiden hatte, konnte sie sich mit ihrer Ablehnung nicht durchsetzen. Ihr Senat ließ die Änderung mehrheitlich passieren; Limbach schrieb ein Minderheitsvotum, das zu lesen sich noch heute lohnt.

Limbach blieb, auch beim Reden über solche Niederlagen, von gewandter Freundlichkeit. Sie kam ins Schwärmen, wenn sie von ihrer SPD-Familie erzählte: Die Urgroßmutter hat einen Arbeiter-, Frauen- und Mädchenverein gegründet; die Großmutter war Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, der Vater gleich nach dem Krieg Bezirksbürgermeister von Pankow.

Wenn sie ihren Lebensweg schilderte, neigte sie uneitel dazu, ihn als Ergebnis glücklicher Umstände dazustellen. Ursprünglich hatte sie Journalistin werden wollen, studierte dann Jura, sah sich schon als Richterin, entdeckte ihre wissenschaftlichen Neigungen, begann mit der Habilitation, als sich gerade das dritte Kind ankündigte. Sie wollte sich aber nie als feministisches Vorbild präsentieren, weil sie "mit geschlechtsspezifischen Widrigkeiten" nie zu kämpfen gehabt habe. Stattdessen erzählte sie von der "partnerschaftlichen Familienorganisation"; ihr Mann war schließlich Profi, er arbeitete im Organisationsreferat des Bonner Innenministeriums. Sie habe, sagte Limbach, ihren Kindern "eine eigenwillige, wechselvolle Lebensweise und mehr Selbständigkeit als ihren Altersgenossen zugemutet". Ein Schaden sei es nicht gewesen.

Zuletzt leitete Limbach die Kommission zur Rückgabe der von den Nazis geraubten Kunst: "Ein Bild lässt sich abhängen, Schuld nicht", sagte sie in ihrem letzten SZ-Interview vor zwei Jahren. Am Samstag ist Jutta Limbach im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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