Nach verhinderten Anschlägen:Union drückt bei Online-Razzien aufs Tempo

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Nach den vereitelten Bombenanschlägen in Deutschland ist der Streit über Durchsuchungen von Computern neu entbrannt. Innenminister Schäuble und weitere prominente Unionspolitiker erneuerten ihre Forderung nach heimlichen Online-Razzien - und stoßen damit beim Koalitionspartner auf scharfe Kritik.

Die Festnahme von drei mutmaßlichen islamistischen Terroristen hat den Streit über Online-Durchsuchungen neu angeheizt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verwies in der ARD darauf, dass Terroristen übers Internet immer besser vernetzt seien.

Dringt weiter auf Online-Durchsuchungen: Wolfgang Schäuble (Foto: Foto: dpa)

Deshalb müsse es "in eng begründeten Ausnahmefällen" die Möglichkeit geben, Computer heimlich auszuspähen. Im gleichen Sinne äußerten sich die Innenminister von Bayern und Brandenburg, Günther Beckstein (CSU) und Jörg Schönbohm (CDU). Die SPD warf der Union vor, die Festnahmen politisch ausnutzen zu wollen.

Lob für Sicherheitsbehörden

Nach Erkenntnissen von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt wollten die drei Terrorverdächtigen - zwei Deutsche, die zum Islam übergetreten waren, und ein Türke - Bombenanschläge auf US-Einrichtungen in Deutschland verüben.

Die Männer waren am Dienstag nach monatelangen Ermittlungen im Sauerland gefasst worden und sitzen nun in Untersuchungshaft. Weitere sieben Verdächtige stehen im Fokus der Ermittler. Davon sind nach Angaben der Bundesanwaltschaft fünf namentlich bekannt.

US-Außenamtssprecher Tom Casey hat am Mittwoch die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden zur Vereitelung der Bombenanschläge gewürdigt. Die US-Regierung sei sehr erfreut über den Einsatz, sagte Casey. "Wir sind sehr dankbar für die Bemühungen."

Trotz der Festnahmen mahnte Schäuble zur Zurückhaltung. "Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen. Wir können darauf vertrauen: Die Sicherheitsbehörden leisten gute Arbeit", sagte der Bundesinnenminister.

Derzeit gebe es keine weiteren Hinweise auf konkret bevorstehende Anschläge. Zugleich sprach sich Schäuble dafür aus, den Aufenthalt in terroristischen Ausbildungslagern unter Strafe zu stellen.

Auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), forderte die rasche Schaffung eines Straftatbestandes für sogenannte terroristische Vorbereitungshandlungen. "Das betrifft insbesondere die Bereiche Ausbildung in einem Terrorlager und das Verbreiten von Anleitungen zum Bombenbau via Internet oder in anderer Form", sagte Bosbach der Netzeitung.

Beckstein erwartet Beschluss zu Online-Durchsuchungen

Bayerns Innenminister Beckstein verlangte in der Welt: "Ich erwarte, dass die von Bundesinnenminister Schäuble vorgeschlagene Sonderkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern noch in dieser Woche einen Beschluss zu Online-Durchsuchungen fasst."

Die Festnahmen zeigten, dass die Behörden dringend das neue Fahndungsinstrument heimlicher Online-Razzien bräuchten. Schönbohm hielt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die das heimliche Ausspähen von Computern übers Internet ablehnt, in der Netzeitung "Starrsinn" vor. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), wertete die Festnahmen der drei Terrorverdächtigen hingegen als Beweis dafür, "dass wir eine gut funktionierende Sicherheitsarchitektur haben".

Es sei "schäbig", dass Teile der Union versuchten, dies parteipolitisch zu instrumentalisieren, sagte Edathy der Thüringer Allgemeinen. In der Berliner Zeitung forderte Edathy die personelle Verstärkung deutscher Sicherheitsbehörden. Diese seien "derzeit zum Beispiel nicht in der Lage, alle Gefährder zu observieren. Das muss sich ändern."

SPD-Fraktionschef Peter Struck sieht sich ebenfalls in seiner Ablehnung der Online-Durchsuchung bestätigt: "Der Erfolg der Fahndungsbehörden zeigt, dass solche terroristischen Aktivitäten im Frühstadium erstickt werden können, ohne die von Schäuble massiv geforderten weiteren Instrumente wie die Online-Durchsuchung", sagte Struck.

Er bekräftigte: "Es bleibt bei unserer Position: Es wird jetzt mit der SPD keine Befugnis zur Online-Durchsuchung geben." Zunächst solle ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Frage abgewartet werden. Im Lichte der Karlsruher Entscheidung werde geprüft, "unter welchen rechtsstaatlichen Bedingungen eine Online-Durchsuchung möglich ist oder nicht".

Er kündigte an, dass er gemeinsam mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries mit Schäuble, Unions-Fraktionschef Volker Kauder und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer in der kommenden Woche "ein letztes Gespräch über die Frage der Online-Durchsuchung" führen werde. Dabei werde er die ablehnende Haltung der SPD deutlich machen.

Steigende Zahl der Übertritte zum Islam

18.000 deutsche Staatsbürger sind seit 1945 zum Islam übergetreten. Allein im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Islam-Archivs in Soest etwa 4000, berichtet die Kölnische Rundschau. Ein Jahr zuvor, 2005, seien lediglich 780 Übertritte registriert worden. Als Grund für den starken Anstieg 2006 nennt Salim Abdullah vom Islam-Archiv eine als negativ empfundene Darstellung des Islams in der Öffentlichkeit.

Viele, die bereits an einen Übertritt gedacht haben, hätten es dann aus Solidarität getan. Auch nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 habe es einen deutlichen Anstieg gegeben.

Abdullah bestritt aber einen Zusammenhang zwischen erhöhter Gewaltbereitschaft und dem Übertritt zum Islam. Untersuchungen seines Forschungsinstituts hätten gezeigt, dass neu zum Islam Gekommene dazu neigten, alles richtig zu machen, sagte er der Berliner Zeitung. Dieses "Konvertiten-Syndrom" gebe es auch in anderen Religionen.

Fahndung nach zehn Verdächtigen

Im Zusammenhang mit den vereitelten Terroranschlägen wird laut Bundesinnenministerium noch nach etwa zehn Verdächtigen gefahndet. "Ja, die Zahl stimmt ungefähr", sagte der Staatssekretär im Innenministerium, August Hanning, am Donnerstag auf eine entsprechende Frage im ARD-"Morgenmagazin".

Die gesuchten Islamisten befänden sich "in Deutschland, zum Teil auch im Ausland", es handele sich um Deutsche, Türken und andere Nationalitäten.

Nach dem Fahndungserfolg gehe "von dieser konkreten Zelle keine Gefahr mehr aus", sagte Hanning. Jedoch sei die Gefahr nicht gebannt. "Es bleibt der Auftrag, in Deutschland Anschläge durchzuführen, und dieser Auftrag beunruhigt uns."

Der Staatssekretär betonte, auch der vereitelte Terroranschlag weise auf Gefahren durch das Internet hin. Über das Internet werde in der Islamistenszene "indoktriniert und kommuniziert".

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