Nach Giftanschlag:Moskau schimpft Litwinenko einen "unbedeutenden Wicht"

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Für den Agenten-Thriller um den in London vergifteten Ex-Spion Alexander Litwinenko haben die Machthaber in Russland offenbar nur ein müdes Lächeln übrig.

Wenn der Kreml Kritiker aus dem Weg räumen wolle, was er in Wahrheit natürlich nicht tue, dann kämen nur wirklich gefährliche Leute in Betracht und nicht "solche unbedeutenden Wichte aus der dritten Reihe".

Das behauptet der Duma-Abgeordnete Gennadi Gudkow, der wie Präsident Wladimir Putin und immer mehr andere Politiker in Russland aus dem Geheimdienst stammt.

Wer hat heute noch - 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges - ein Interesse daran, die zu neuem Selbstbewusstsein gelangten Russen anzuschwärzen, fragen die vom Kreml gelenkten Medien. Natürlich die Amerikaner.

"Auf der ganzen Welt wird Stimmung gegen Russland gemacht. Die USA nutzen jede Gelegenheit, um uns einen Tritt zu verpassen", schimpft der Sicherheitspolitiker Nikolai Leonow, dessen Lebenslauf ebenfalls eine KGB- Karriere schmückt.

Die Tageszeitung Kommersant widmete dem Fall Litwinenko am Mittwoch eine ganze Seite. Die Herausgeber lassen in der Kommentarspalte nicht wie sonst üblich einen ihrer kremlkritischen Journalisten zu Wort kommen, sondern jenen linientreuen Abgeordneten Gudkow.

Der stellt die These auf, Washington versuche mit allen Mitteln Russland zu erpressen, um Zugeständnisse in der Iran-Politik zu erzielen. Dem politisch interessierten Russen ist Litwinenko noch durch einen skurrilen Auftritt im November 1998 in Erinnerung.

Strippenzieher hinter Jelzin

Umrahmt von maskierten Männern ging der Ex-Agent auf einer Pressekonferenz in Moskau mit der Sensation an die Öffentlichkeit, der Inlandsgeheimdienst FSB habe ihn beauftragt, den Oligarchen Boris Beresowski zu ermorden. Der Milliardär galt damals als der große Strippenzieher hinter Präsident Boris Jelzin.

Jelzins Nachfolger Wladimir Putin machte diesem Einfluss ein Ende. Als Beresowski Ende 2000 vor Nachstellungen in den Westen floh, nahm er den übergelaufenen Agenten Litwinenko mit nach London. Litwinenko behauptete später, die 1999 verübten Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Russland mit hunderten Toten seien von Geheimdienstlern verübt worden. Beweise für diese in Russland bis heute kursierende Verschwörungstheorie konnte er aber nicht liefern.

Auch 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges fällt bei spektakulären Vergiftungsfällen immer wieder ein Schatten auf Russlands Geheimdienste. Vor zwei Jahren verlor der prowestliche ukrainische Präsidentschaftskandidat Viktor Juschtschenko durch einen mutmaßlichen Dioxin-Anschlag fast sein Leben. Aufgeklärt ist der Fall bis heute nicht.

Auch der für die russische Machtelite unbequeme Duma-Abgeordnete Juri Schtschekotschichin soll nach Ansicht seiner Parteifreunde vergiftet worden sein. Der Korruptions-Bekämpfer starb im Juli 2003. Offizielle Todesursache war ein Hirnödem. Der Politiker hatte wie die im Oktober ermordete Journalistin Anna Politkowskaja in Artikeln für die Zeitung Nowaja Gaseta die Zustände im Land kritisiert.

Die Beteuerungen russischer Geheimdienste, der physischen Vernichtung von Gegnern längst abgeschworen zu haben, widerlegt ein Blick ins Archiv. Vor zwei Jahren waren zwei russische Agenten in Katar zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Nach Ansicht der Richter hatten die Russen im Februar 2004 im Emirat am Persischen Golf den Tschetschenenführer Selimchan Jandarbijew mit einer Autobombe getötet. Ende 2004 überstellte Katar die Agenten an Russland, wo die Männer als Helden gefeiert wurden.

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