Nach dem vereitelten Amoklauf von Köln:"Es geht den Tätern um posthume Popularität"

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Wie erkennt man einen Amokläufer? Was haben die jugendlichen Täter gemeinsam? Der Berliner Kriminologe Frank Robertz spricht über Warnsignale und kritisiert die oft zögerliche Haltung der Schulen.

Birgit Kruse

sueddeutsche.de: Columbine, Emsdetten, Finnland. Die Amokläufe an Schulen scheinen sich zu häufen. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Taten?

Frank Robertz: "Die Schulen müssten endlich lernen, frühzeitig Prävention zu betreiben." (Foto: Foto: Pontzetta)

Frank Robertz: Der Unterschied zwischen Amokläufen von Erwachsenen und Jugendlichen ist, dass sich die Taten aneinander anschließen. Die Schüler studieren sehr genau, was die Jugendlichen vor ihnen gemacht haben und imitieren. Sie ziehen identische Kleidung an, wie beispielsweise den schwarzen Trenchcoat. Sie statten sich mit ähnlichen Waffen aus, nutzen identische Tattage und hinterlassen Nachrichten im Internet.

sueddeutsche.de: Das hört sich an, als hätten sich mittlerweile schon regelrechte Amok-Codes und Communities gebildet.

Robertz: Ganz so ist es nicht. Aber bei dem Amoklauf in Finnland konnten wir in der Tat ein neues Phänomen feststellen. Dieser Jugendliche hatte ja offensichtlich Kontakt mit einem Gleichgesinnten aus den USA. Das ist neu. Was nicht neu ist, dass vorherige Taten verherrlicht werden. Die Jugendlichen nehmen einfach wahr, dass die Täter eine subkulturelle Anerkennung bekommen und wollen Teil dessen sein.

sueddeutsche.de: Welche Parallelen lassen sich zwischen den Tätern ziehen?

Robertz: In der Regel handelt es sich um Jugendliche, denen es nicht gelingt, Anerkennung zu bekommen. Oft sind sie schlecht in der Schule, haben im Sport keinen Erfolg. Gleichzeitig sind sie sehr anfällig für Kränkungen und Versagungen. Sie haben zudem das Gefühl, einer sehr starken Kontrolle zu unterliegen, ohne selbst Kontrolle ausüben zu können. Und oft ist es den Erwachsenen auch nicht gelungen, ihnen alternative Wege aufzuzeigen, Annerkennung zu erlangen.

sueddeutsche.de: Gibt es Warnsignale?

Robertz: Es gibt immer Warnsignale. Sie sind ein real wahrnehmbarer Ausdruck ihrer Gewaltphantasien, die sich über viele Monate aufbauen können, langsam in die Realität durchsickern. Im Extremen sind es direkte Amokandrohungen. Es können aber genauso gut Filme sein, die die Jugendlichen mit der Handykamera erstellen oder die sie über vorangegangene Taten im Internet veröffentlichen. Es können auch Zeichnungen oder Schulaufsätze sein, in denen sie sich mit extrem gewalttätigen Inhalten auseinandersetzen. Und dann muss man in der Lage sein, harmlose pubertäre Phantasien von Gewaltphantasien zu unterscheiden. Die ganzen Warnsignale werden wie als Hilferufe nach außen gesendet und sind wahrnehmbar.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt das Internet bei der Vorbereitung von Amokläufen?

Robertz: Eine zunehmende Rolle. Gerade im letzten Jahr sehen wir, dass Jugendliche ihre Materialen bewusst ins Internet stellen oder es kurz vor der Tat an die Presse versenden. Die Jugendlichen machen ganz gezielt ein Personality-Programm, wollen sich nach außen darstellen, um die Kontrolle, die sie im wahren Leben nicht haben, zu demonstrieren. Wenn sie entscheiden, ob jemand lebt oder stirbt, ist das die ultimative Möglichkeit Kontrolle zu demonstrieren.

sueddeutsche.de: Und wie erklärt es sich dann, dass sich viele Täter nach der Tat selbst das Leben nehmen?

Robertz: Es geht den Tätern häuft um posthume Popularität. Rund ein Viertel der Jugendlichen bringen sich nach einem Amoklauf um. Der Suizid im Anschluss an solche Taten nimmt dabei zu. Die Jugendlichen erhoffen sich, wenn sie mit einem lauten Knall aus der Gesellschaft scheiden, dass sie wenigstens noch die Phantasie von anderen Jugendlichen damit anregen. Und so erreichen sie eine Popularität, die sie auf einem anderen Weg nicht erreicht haben.

sueddeutsche.de: Wie sollten Schulen auf die Gefahr von Amokläufern reagieren?

Robertz: Die Schulen müssten endlich lernen, frühzeitig Prävention zu betreiben. Doch da sind Schulen noch zu zögerlich. Wir erleben oft ein komplettes Kopf-in-den-Sand-Stecken.

sueddeutsche.de: Wie könnte Prävention konkret aussehen?

Robertz: Das beste ist, Sozialarbeiter und Psychologen einzustellen sowie das soziale Lernen an Schulen voranzutreiben. Man kann Frühwarnsysteme schaffen, indem man gut mit der Polizei zusammenarbeitet, indem man Krisenteams an Schulen bildet und Lehrer so schult, dass sie Signale richtig deuten können. Solche Fortbildungen bieten wir an.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von Forderungen nach schärferen Waffengesetzen?

Robertz: Für andere Taten mag das durchaus was bringen. Für die schweren Amokläufe bringt das meiner Meinung jedoch überhaupt nichts. Wir stellen immer wieder fest, dass die Waffen vorher immer auf illegalem Weg beschafft werden. Und wenn man dann die legalen Wege verändert, bringt das überhaupt nichts.

Dr. phil. Frank J. Robertz ist Kriminologe und Sozialpädagoge und leitet das Institut für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie in Berlin. Ende September ist sein Buch "Der Riss in der Tafel. Amoklauf und schwere Gewalt in der Schule" im Springer Medizin Verlag erschienen.

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