Muktada al-Sadr:Mit Koran und Kalaschnikow

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Seine Familie ist hochgeachtet, er selbst gilt als skrupellos und peitscht die Massen auf: der Schiitenführer al-Sadr ist derzeit der gefährlichste Gegenspieler der US-Truppen im Irak. Ein Porträt von Peter Münch

Bis zum letzten Blutstropfen, so sprach Muktada al-Sadr vor wenigen Tagen, würden seine Leute kämpfen. Der Heißsporn unter den schiitischen Führern im Irak hat damit die Richtung vorgegeben für die Gefechte, die sich nun auf seine Trutzburg Nadschaf konzentrieren.

Beruft sich auf Unterstützer in Iran, bei der Hamas und der schiitischen Hisbollah: Muktada al-Sadr (Foto: Foto: dpa)

In der Moschee und um die Moschee herum hat er seine Krieger mit Koran und Kalaschnikow in Stellung gebracht. Grob und grimmig schwingt er sich damit zum derzeit gefährlichsten Gegenspieler der US-Truppen und der irakischen Übergangsregierung auf.

Für eine Führungsrolle unter den Schiiten, die die Mehrheit der Bevölkerung im Irak stellen, qualifiziert ihn weder seine Erfahrung noch sein religiöser Rang. Es sind Machtbewusstsein und Skrupellosigkeit, die al-Sadr als Heros des Mobs ausspielt.

Eine Miliz, rekrutiert aus verelendeten Unterschichten

Während die meisten der hochmögenden Ayatollahs noch still im Hintergrund auf eine Beruhigung der Lage dringen, peitscht der junge Prediger, der nicht einmal sein Theologiestudium zum Abschluss brachte, die Massen auf.

Getragen wird seine Revolte von der auf ihn eingeschworenen Mahdi-Miliz, der Miliz des Erlösers, die ihre mehrere tausend Kämpfer vor allem aus den verelendeten Unterschichten rekrutiert. Auch Kriminelle und ehemalige Baathisten sollen dazugestoßen sein.

Über sein Alter gibt al-Sadr keine Auskunft. Seine Hintersassen machen ihn mit 35 Jahren gewiss älter, als er ist. Das größte Kapital, über das er verfügt, ist jedoch sein Name: Muktada al-Sadr ist Spross einer der angesehensten Klerikerfamilien des Landes.

In der Saddam-Zeit wurde sie zu einer Familie der Märtyrer: Der Großonkel wurde 1990 im Auftrag des Regimes ermordet. Sein Vater, Großayatollah Sadik al-Sadr, geriet 1999 in einen tödlichen Hinterhalt.

Saddam-City wurde zu Sadr-City

Im Machtvakuum nach dem Fall Bagdads maßte sich der junge al-Sadr das religiöse und politische Erbe des Vaters an. In Saddam-City, einem auf zwei Millionen Einwohner gewucherten Slum der Hauptstadt, übernahmen seine Männer sogleich die Kontrolle.

Kein Krankenhaus und keine Sozialstation, an der nicht die Plakate des weißbärtigen Sadik al-Sadr angebracht wurden - und daneben gern auch Porträts des stiernackigen Sohnes. Heute heißt das Viertel Sadr-City. Der Vater wird hier wie ein Heiliger verehrt, der Sohn reüssiert als Hochstapler.

Die Rolle des Widerständlers gegen die US-Besatzung hat al-Sadr, der zunächst als wild gewordener Außenseiter galt, enormen Zulauf verschafft. Auch in anderen Städten des Südens, vor allem in seiner Rückzugsbastion Kufa sowie in Basra, haben sich seine Milizen formiert.

Von der Hausa, dem Rat der schiitischen Gelehrten in Nadschaf, wird er zwar immer noch als eine Art Paria betrachtet. Aber vor allem wird er gefürchtet.

Der von ihm inszenierte Machtkampf unter den Schiiten ist zu einer blutigen Abrechnung eskaliert. Das erste Opfer war bereits am 10.April 2003, einen Tag nach dem Sturz des Regimes, der aus dem Londoner Exil heimgekehrte Würdenträger Abdelmajid al-Khoi.

Vor der Moschee von Nadschaf wurde er erdolcht. Gegen al-Sadr liegt deshalb ein Haftbefehl vor. Auch sein mächtiger Gegenspieler Mohammed Bakr al-Hakim, Führer des Hohen Rats für die islamische Revolution im Irak (Sciri), starb nach seiner Rückkehr aus Iran im August 2003 bei einem verheerenden Bombenanschlag in Nadschaf. Al-Sadr gilt zumindest als geistiger Anstifter der Tat.

Gegenüber den heimkehrenden Exilanten spielte er sich stets als irakischer Patriot auf, der auch in schweren Zeiten das Land nicht verlassen hatte. Doch allein gegen alle hätte auch er es nicht so weit gebracht.

Er beruft sich auf mächtige Unterstützer im Ausland - in Iran, bei der Hamas und der schiitischen Hisbollah. Auch in ihrem Namen führt Muktada al-Sadr nun wieder Krieg im Irak.

© SZ vom 13.08.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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