Mordfall Litwinenko:Ein ungesühnter Tod

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Der Fall Litwinenko, ein Jahr nach dem Tod des Ex-Geheimdienstlers: Ein Mann, der vielleicht sein Mörder ist, ist Wahlkandidat und in London werden wieder Cocktails getrunken.

Sarina Märschel

Es ist sein erster Todestag. Alexander Litwinenko, Ex-Geheimdienstler, starb am 23. November 2006 an einer Polonium-210-Vergiftung. Ein Agententhriller, der - anders als eine Folge von James Bond - kein gutes Ende fand. Und der die Welt noch immer beschäftigt.

Spurensuche im Mordfall Litwinenko: Ein Beamter der Tatortgruppe des Bundeskriminalamts untersucht im Dezember 2006 auf einem Hof ein Auto nach Fingerabdrücken. Auf dem Hof wohnt die ehemalige Schwiegermutter von Dimitri Kowtun (Foto: Foto: ddp)

Am Mittwoch erst schloss die russische Zeitung Kommersant einen Vergleich mit dem russischen Unternehmer Andrej Lugowoj - dem Hauptverdächtigen der britischen Staatsanwaltschaft im Mordfall Litwinenko.

Das Blatt muss wegen Rufschädigung 20 Millionen Rubel Schadenersatz an Lugowoj bezahlen. Kommersant hatte in einem Beitrag im Juli den Eindruck erweckt, der Geschäftsmann sei Litwinenkos Mörder. Nach Auffassung des Gerichts fußte der Artikel nur auf Mutmaßungen. In Russland lässt man nichts kommen auf Lugowoj - und so wurde der reiche Unternehmer Auslöser für eine deutliche Abkühlung der Beziehungen zwischen dem Kreml und Großbritannien. Denn die Russen weigern sich standhaft, den Verdächtigen auszuliefern.

Lugowoj, der sich selbst als unschuldig bezeichnet, steht nun bei der bevorstehenden Duma-Wahl auf der Liste der putinfreundlichen Liberaldemokratischen Partei - und könnte schon bald im Parlament sitzen. Das käme Lugowoj sicherlich sehr gelegen, denn ein Mandat bringt Immunität mit sich und damit zunächst einmal Schutz vor Strafverfolgung und weiteren Unannehmlichkeiten. Seiner Meinung nach stecken antirussische Kräfte im Westen hinter dem Anschlag wie der im Londoner Exil lebende Oligarch Boris Beresowski. Dieser wiederum beschuldigt den Kreml, den Mord in Auftrag gegeben zu haben.

Dort ist der Mord an dem ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeiter und späteren Gegner des Putin-Regimes ein großes Ärgernis. In Folge des Streits über die Aufklärung des Mordfalls Litwinenko spielten Russland und Großbritannien Ping-Pong. Nachdem Russland die Ausweisung Lugowojs aus verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt hatte, reagierte Großbritannien mit der Ausweisung von vier russischen Diplomaten. Russland rächte sich, indem es führende britische Diplomaten des Landes verwies. Putin bezeichnete alle Vorwürfe aus Großbritannien als Beispiele für "koloniales Denken" Englands.

Die Spur des Giftes

Zudem warf die russische Generalstaatsanwaltschaft Scotland Yard unsaubere Ermittlungen vor. Die Briten seien allem Anschein nach ziemlich selektiv an die Beweissammlung herangegangen. Die Dokumente, mit denen die Auslieferung Lugowojs beantragt wurden, seien nicht ausreichend gewesen, um ihn anzuklagen oder auch nur, um staatsanwaltschaftliche Ermittlungen einzuleiten.

Der britische Geheimdienst sucht das Mordmotiv in der Auseinandersetzung des "Verräters" Litwinenko mit dem russischen Inlandsgeheimdienst. Das Polonium, an dem Litwinenko starb, stammte aus Russland, seine Spur zog sich durch Flugzeuge, Büros und Wohnungen - alles Orte, an denen sich zuvor die beiden Ex-Geheimdienstler Lugowoj und Kowtun aufgehalten hatten. Doch das wird in Russland keinesfalls als Indiz für die Schuld der beiden gewertet - vielmehr seien sie die Opfer. Lugowoj und Kowtun, die beide wegen Vergiftungserscheinungen ärztlich behandelt wurden, seien unfreiwillig von Litwinenko vergiftet worden sind.

Im zweiten Abschnitt: Das Treffen zwischen Litwinenko und seinen mutmaßlichen Mördern - und was inzwischen am Tatort passiert ist

Sicher ist: Litwinenko hatte sich am 1. November mit Lugowoi und Dmitri Kowtun, beide Ex-Geheimdienstler, in Bar des Londoner Millenium-Hotels getroffen. Angeblich boten die beiden Litwinenko eine Zusammenarbeit an. Litwinenko trank Tee.

Andrej Lugowoj (l.) und Dmitri Kowtun (r.) im November 2006 in Moskau (Foto: Foto: dpa)

Mordvorwurf an Putin

Wenige Stunden später erbrach er sich stundenlang. Im Krankenhaus verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dramatisch. Die Ärzte konnten die Symptome nicht einordnen. Erst Wochen später wurde aufgeklärt, dass Litwinenko mit Polonium-210 vergiftet wurde. Litwinenko bezichtigte auf dem Sterbebett den russischen Präsidenten des Mordes an ihm - ein Freund verlas diese Erklärung am Abend des 23. November, wenige Stunden nach Litwinenkos Tod.

Am Tatort, in der Pine Bar des Londoner Millennium-Hotels, sitzen inzwischen wieder Gäste. Nach dem Mord war das gesamte Inventar entsorgt worden. Hier hatte Litwinenko am 1. November Tee getrunken - zusammen mit seinen mutmaßlichen Mördern. Keiner der Bediensteten ist in der Folge der Begegnung erkrankt - zunächst war nicht sicher, ob auch sie vergiftet worden waren. Inzwischen ist die Bar komplett renoviert. Auf die Fragen eines Reporters der Zeit reagiert der Barmann, der dort seit 1969 Cocktails mixt, wortkarg. Aber dann verrät er doch, dass er bald ein Buch schreiben möchte über seine Erlebnisse in der Pine Bar - über schöne Frauen, interessante Männer und einen Mord.

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