Möllewelle:Die Animateurin der Ost-FDP

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Cornelia Pieper verkörpert ungebrochenes Selbstbewusstsein - vom designierten Ministerpräsidenten Böhmer trennen sie Welten.

Marianne Heuwagen und Annette Ramelsberger

(SZ vom 23.04.2002) Mit Riesenschritten sieht die FDP sich auf die 18 Prozent zugehen. So groß sind die Schritte, dass Parteichef Guido Westerwelle nicht nur eine Tafel mit den Ergebnissen der letzten drei Landtagswahlen zur Pressekonferenz mitbrachte, auf der der sprunghafte Anstieg seiner Partei von Hamburg (5,1 Prozent) über Berlin (9,9) bis Sachsen-Anhalt (13,3) deutlich wird. Westerwelle trägt neuerdings auch Schuhe, in deren Sohlen in gelber Farbe eine 18 eingeritzt ist. Dies sei ein Geschenk seiner Mitarbeiter, erklärt der Parteichef, und er habe versprochen, die Schuhe zu tragen, wenn die FDP in Sachsen-Anhalt zweistellig wird.

"Die Schuhe sind ein Gag", meint der Parteichef. Ernsthaft aber denkt Guido Westerwelle seit dem spektakulären Wahlsieg vom Sonntag darüber nach, ob er nicht doch als Kanzlerkandidat in der Bundestagswahl antreten solle. Vor einem Jahr bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden in Düsseldorf hatte er ein solches Manöver noch strikt abgelehnt und damit sogar den Vater der "Strategie 18", Jürgen Möllemann, düpiert. Doch nun führt die FDP-Spitze die Verdreifachung ihrer Stimmen in Sachsen-Anhalt auch darauf zurück, dass Cornelia Pieper als Kandidatin für das Amt des Ministerpräsidenten angetreten ist. Möllemann fände es "Klasse", wenn Westerwelle sich auch noch diese Komponente der Strategie 18 zu eigen machte.

In der Heimat von Hans-Dietrich Genscher hat die FDP jetzt noch mehr Stimmen erhalten wie 1990, als die Partei in den neuen Bundesländern vom Genscher-Bonus profitierte. Obwohl Sachsen-Anhalt der erste Landtag in den neuen Bundesländern ist, in den die FDP zurückkehrt, sieht sie sich schon wieder als "gesamtdeutsche Partei", auf gleicher Augenhöhe mit der Union und der SPD. Die Grünen, die seien eine Regionalpartei West und die PDS eine Regionalpartei Ost, meint der Parteichef. Und da die FDP bei den Jüngeren so viel Anklang gefunden hat, sieht sie sich schon auf dem Weg zur Partei fürs ganze Volk.

Das Erfolgsrezept für Sachsen-Anhalt mit dem sehr persönlich auf die Spitzenkandidatin zugeschnittenen "pfiffigen Wahlkampf" soll nun auch auf den Bundestagswahlkampf übertragen werden, kündigte die Generalsekretärin Cornelia Pieper an. Den Anspruch auf das Amt der Ministerpräsidentin mag sie noch nicht aufgeben. "Es muss ja nicht immer die stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellen", meint sie nassforsch. Ob sie als Ministerin in ein Kabinett Böhmer wechseln will, ließ sie offen und gab nur preis, dass sie ihr Landtagsmandat annehmen und gleichzeitig Generalsekretärin bleiben wolle. Allen Spekulationen um ihre Nachfolge ist damit erst einmal eine Absage erteilt. Im Gespräch sind seit längerem die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Birgit Homburger, die von den Frauen in der Fraktion favorisiert wird, aber auch der frühere Berliner Landesvorsitzende Martin Matz oder der Bundestagsabgeordnete Dirk Niebel. Doch nach diesem Wahlsieg, der alle bisherigen Erfolge der FDP in den Schatten stellt, wird Cornelia Pieper ihren Weg selber bestimmen können.

Der Abend des Wahlsiegs in Magdeburg: Die Frau hüpft. Sie hüpft mit beiden Beinen. Hüpft und lacht und hüpft - das blaue Sakko immer wieder fliegt nach oben. Die Haare wehen. Sie hüpft wie ein Schulmädchen, das Gummi-Twist spielt. Sie streckt die Daumen zum Siegeszeichen. Sie lacht und zeigt und lacht und hüpft - die künftige stellvertretende Ministerpräsidentin von Sachsen-Anhalt. Dass sie mehr will, davor fürchten sie sich hier bei der CDU in Magdeburg. Denn daran könnte ihr schönes Regierungs-Projekt am Ende noch scheitern.

Eine Frau ist diese Cornelia Pieper, die die honorigen Herren im Magdeburger Landtag nachhaltig verstört. So schrill, dass selbst die zurückhaltende FAZ schrieb, man könne sie sich gut als "Animateurin eines Robinson-Clubs an der türkischen Mittelmeerküste" vorstellen. Sie ist unüberhörbar, unübersehbar, in Kleidern, die von großem Gestaltermut künden. Und von einem Selbstbewusstsein, das vielen diametral zum politischen Gehalt ihrer Aussagen zu stehen scheint. Sie lässt Fernsehspots für sich werben, wo selbst ein sexunlustiges Paar im Bett als Anstoß dafür herhalten muss, "damit hier endlich was passiert". Natürlich mit Hilfe der FDP. 43 ist die Frau aus Halle jetzt, frisch anzusehen, forsch auf jeden Fall. Sie ist es, die die FDP im Land geeint und sie ins Magdeburger Parlament gebracht hat. Von Wolfgang Böhmer trennen Cornelia Pieper Welten: Er, der ernsthafte, zurückhaltende Arzt, der Rummel verabscheut, der von "Demut" gegenüber dem Wähler spricht. Sie, die die Welt des politischen Hully-Gully verkörpert. Die gelehrige Schülerin von Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle, auf Ost gebürstet, eine Möllewelle sozusagen. Schon hat Böhmer sie unmissverständlich gewarnt: "Dieses Land braucht nur einen Ministerpräsidenten, nicht zwei." Denn Pieper wurde mit den Worten ausgerufen: "Pieper for President."

Der abgewählte Ministerpräsident Reinhard Höppner hatte gemahnt, die Liberalen müssten sich entscheiden, ob sie Politik oder Kabarett machen wollten. Offenbar geht beides, jedenfalls in Sachsen-Anhalt.

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