Milosevic:Spurensuche auf den Schlachtfeldern des Balkan

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Die Ankläger wollen beweisen, dass Milosevic Befehle für Massaker und Vertreibung gegeben hat.

Stefan Ulrich

Die politische Welt hat ihr Urteil längst gesprochen: Slobodan Milosevic ist schuldig für zehn Jahre Mord und Vertreibung auf dem Balkan. Die Weltjustiz dagegen ist noch nicht soweit. Ihre Richter werden am heutigen Dienstag damit beginnen, sich ein Urteil über den Ex-Präsidenten Jugoslawiens zu bilden. So ungewiss der Ausgang dieses historischen Verfahrens ist, eines steht fest: Es wird kein kurzer Prozess werden, den das Haager-Tribunal seinem berüchtigsten Angeklagten macht.

Bis ins Jahr 2003 oder gar 2004 hinein wird es dauern, bis alle Dokumente geprüft, alle Zeugen vernommen, alle Argumente gewogen sind. Schließlich soll es besonders fair zugehen, wenn sich erstmals in der Geschichte ein früherer Staatschef vor einem internationalen Tribunal verantworten muss. Die Erwartungen sind hoch, vielleicht zu hoch für ein Gerichtsverfahren: Die Opfer fordern Gerechtigkeit, die Politiker eine Befriedung des Balkan, die Historiker die Ermittlung der geschichtlichen Wahrheit; und die Juristen hoffen, dass dieser Prozess den Weg zu einer globalen Strafjustiz ebnet, die künftig überall die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschheit sühnt.

Die Antagonisten, die sich im Center-Court des Tribunals bekämpfen werden, haben konkretere Ziele. Der Angeklagte möchte das Verfahren als Siegerjustiz enttarnen und die Nato als wahren Schuldigen des Kosovo-Krieges an den Pranger stellen. "Das ist eine Schlacht, die ich nicht verpassen möchte", sagt er. Die Anklägerin Carla Del Ponte dagegen will dem Serbenführer nachweisen, auf dem Balkan einen verbrecherischen Masterplan verfolgt zu haben. Dessen Ziel: Großserbien. Die Mittel: Unterdrückung, Vertreibung, Mord.

"Wir werden Milosevic auch wegen Völkermords drankriegen", prophezeit die Chefermittlerin. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, das sind die Delikte, um die es in Den Haag geht. Zunächst wird sich das UN-Gericht unter Vorsitz des Briten Richard May dabei mit dem Tatkomplex Kosovo befassen, dann folgen Bosnien und Kroatien. Die Ankläger beschuldigen Milosevic, 1999 im Kosovo die "systematische Vertreibung des albanischen Bevölkerungsteils... geplant, befohlen und betrieben zu haben". Als jugoslawischer Präsident und Chef der Streitkräfte sei er unmittelbar für die Vertreibung von 800 000 Zivilisten und den Tod von mindestens 900 Menschen verantwortlich.

Im Kroatien-Fall wird ihm vorgeworfen, für die Ermordung hunderter Zivilisten und die Deportation von 170000 Kroaten und anderen Nicht-Serben verantwortlich zu sein. Schließlich wird ihm die Tötung von 9000 Menschen im Bosnien-Krieg 1992 bis 1995 vorgehalten. Einen Genozid soll er hier beabsichtigt haben. Milosevic will zunächst einmal mindestens den ganzen Dienstag in eigener Sache sprechen. Verteidiger hat er nicht bestellt, da er das Tribunal nicht aner-kennt. Die Richter haben ihm jedoch zwangsweise drei amici curiae zur Seite gestellt. Diese "Freunde des Gerichts" sind erfahrene Strafjuristen, die die Interessen des Angeklagten wahrnehmen sollen.

Milosevic hat sich unterdessen einen Stab juristischer Berater zugelegt, die ihn im UN-Gefängnis von Scheveningen besuchen. Zu ihnen gehört der einstige US-Justizminister Ramsey Clark - Spitzname "Diktatoren-Schmuser". Auch der bekannte französische Strafanwalt Jacques Vergès, der den Top-Terroristen Carlos verteidigt hat, arbeitet in dem Team.

Milosevics Anwälte haben angekündigt, ihr Mandant werde viele prominente Zeugen benennen - den früheren US-Präsidenten Bill Clinton etwa, oder den Ex-Generalsekretär der Nato, Javier Solana. Auch den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder möchte der einstige Serben-Verführer offenbar gerne ins Kreuzverhör nehmen. Das Gericht muss solchen Anträgen allerdings nur stattgeben, wenn es die Zeugen für relevant hält. Carla Del Ponte wird natürlich ebenfalls viele Zeugen aufbieten. Zu den Trümpfen der forschen Schweizer Staatsanwältin sollen 20 bis 30 politische und militärische Insider aus den einstigen Machtzirkeln Serbiens und Jugoslawiens gehören, darunter frühere Vertraute Milosevics. Seit Monaten wird über Namen spekuliert.

Womöglich wird das Geheimnis auch im Prozess nicht gelüftet. Denn das Gericht kann "heikle", etwa bedrohte Zeugen anonym vernehmen lassen. Sie werden dann von der Zuschauertribüne des Gerichtssaals abgeschirmt. Der Angeklagte selbst muss sie allerdings zu Gesicht bekommen.

Prozessentscheidend wird am Ende sein, ob Carla Del Ponte eine lückenlose Befehlskette nachweisen kann, die von Präsident Milosevic in Belgrad bis hinab zu den Schergen auf den Schlachtfeldern des Balkan reicht. Einfach ist das nicht. Denn der Ex-Diktator hat es peinlichst vermieden, schriftliche Spuren zu hinterlassen.

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