Militärpfarrer im Kosovo:Von guten Mächten

Lesezeit: 7 min

Bundeswehrsoldaten beklagen sich, dass ihnen der Sinn ihrer Auslandseinsätze ungenügend vermittelt wird. Seelsorger der Bundeswehr übernehmen diese Aufgabe auf ihre Art. Eine Sinnsuche.

Ingo Salmen

Vielleicht ist es die Nähe zum Himmel, die dem "Soldaten" Stephan Schmuck erneut eines dieser Erfolgserlebnisse beschert. Hoch oben auf dem Dulje-Pass, zwischen der Provinzhauptstadt Pristina und der Südmetropole Prizren. Schmuck sitzt auf der mittleren Bank eines Bullis, sein rechtes Knie hat er auf die Sitzfläche gelegt, er wendet sich einem Kameraden im Heck zu. Schokoplätzchen machen die Runde, es geht um Gott und die Welt. Hier oben im Bulli.

Pfarrer Stephan Schmuck bereitet sich auf eine Messfeier in Pristina vor (Foto: Foto: Ingo Salmen)

"Ich bin Atheist", gibt der Gefreite auf der Rückbank unumwunden zu. Allmählich wölbt sich die Dunkelheit über das Hügelland. Der Tag des Herrn steht bevor, doch das beeindruckt den jungen Mann nicht: "Ich glaube nur an die Naturwissenschaften", sagt er. Einen Augenblick später schiebt er nach: "Wenn ich Probleme hätte, würde ich zuerst mit den Kameraden reden. Aber wenn es etwas wäre, dass man nicht mit denen besprechen kann, wenn ich Stress mit Zuhause hätte oder jemand sterben würde, dann würde ich auch zu Ihnen gehen."

Soldat für seelisches Heil

Schmuck ist kein normaler Kamerad. Stephan Schmuck ist katholischer Militärpfarrer und begleitet die deutschen Kfor-Soldaten im Einsatz. Er kommt gerade zurück vom Gottesdienst im Hauptquartier. Wie jeder hier trägt er Stiefel und Tarnanzug und beim Verlassen des Lagers setzt er artig seine Mütze auf, ganz dem Wunsch der georgischen Wachsoldaten entsprechend.

Eine Waffe führt er nicht mit sich, Schmuck ist weniger für die körperliche Unversehrtheit der Soldaten zuständig als für ihr seelisches Heil. Dabei ist es unbedeutend, ob jemand frommer Katholik ist. Dass sich ein Soldat an ihn wendet, der sonst mit Kirche nichts zu tun hat, kommt im Kosovo oft vor, sagt Schmuck. Der Atheist, der den Pfarrer aufsucht - eine typische Konstellation in diesem an Kontrasten nicht armen Land.

Es hat den Anschein, als trage alles im Kosovo zwei Gesichter, die sich mitunter zu Widersprüchen auswachsen, so wie die Köpfe des albanischen Doppeladlers in entgegengesetzte Richtungen schauen.

Von Stille umgeben

Auch in Prizren, einem alten kulturellen Zentrum des Kosovo, bietet sich ein zwiespältiges Bild. Die Männer sitzen in den Cafés. Was sollen sie auch tun? Die Arbeitslosigkeit beträgt zwischen 50 und 80 Prozent, je nach Zählstandard. Abends strömen die Jugendlichen - die Hälfte der Bevölkerung ist in einem ungeduldigen Alter, unter 25 - zum Shadravan, dem lebendigen Mittelpunkt der historischen Altstadt.

Vorbei am türkischen Hamam und den zahllosen Brautmodengeschäften laufen sie auf die Brücke zu, die über die Bistrica führt. Vor ihnen erhebt sich die Sinan-Pascha-Moschee, erbaut im Jahre 1615 mit den Steinen des orthodoxen Erzengelklosters. Rechts flanieren die Menschen, schallt elektronischer Jazz mit folkloristischen Einflüssen aus den Lokalen, links kleben tot am Hang die ausgebrannten Ruinen des einstigen Serbenviertels, direkt neben dem "Mob Shop", einem Handy-Laden.

Doch der Schein des normalen Lebens täuscht: Die Spuren der Zerstörung sind allgegenwärtig. Vor gut vier Jahren, im März 2004, drangen Albaner in die Häuser der Serben ein, vertrieben die Bewohner, zündeten deren Hab und Gut an. Die Kfor war überfordert. Heute patrouillieren die Soldaten durch die Altstadt und bewachen Mauerreste. Kaum betreten sie die engen Gassen des Serbenviertels, sind sie von Stille umgeben. Nicht mehr die bettelnden Kinder starren sie an, sondern nur noch die verfallenen Mauern. Auf schmalen Pfaden geht es hoch zum Beobachtungspunkt "Auge".

Von hier hat Oberfeldwebel Steve W. alles im Blick. Er soll mit seinen Leuten das Viertel vor weiterer Beschädigung beschützen und kann seinen Blick doch nur über Zeugnisse des Hasses schweifen lassen: "Eigentlich", sagt er, "kann man da nicht mehr viel zerstören." Aber die Aufgabe bleibt: "Das gehört den Serben, auch wenn es Schrott ist."

Lesen Sie auf Seite 2, welchen Stellenwert die Seelsorge in der Bundeswehr hat

Der Kosovo befindet sich in einem Schwebezustand. Die Gräuel der gegenseitigen Vertreibungen gehören der Vergangenheit an, die seelischen Wunden sind noch lange nicht vernarbt und der zukünftige Status ist weiterhin ungewiss. Unbestreitbar hat sich seit der Nato-Intervention 1999 einiges entwickelt, hat die Infrastruktur einen gewaltigen Fortschritt gemacht.

Vom Beobachtungspunkt "Auge" behält die Kfor das Stadtzentrum genau im Blick (Foto: Foto: Ingo Salmen)

Unbestreitbar sind aber auch viele Termine verstrichen, an denen die albanische Bevölkerungsmehrheit auf eine Entscheidung für die Unabhängigkeit gehofft hatte. Im Sommer Heiligendamm, dann Bushs Besuch im Nachbarstaat Albanien, Verhandlungen der Troika. Es sieht so aus, als ob in neun Jahren viel geleistet, aber wenig bewegt wurde.

Nach einer Befragung des Bundeswehrverbandes empfinden nur 6,2 Prozent der Soldaten, die Politik habe ihnen den Sinn und Zweck von Auslandseinsätzen ausreichend vermittelt. Sinnstiftung ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft auch Sache der Religion - Pfarrer Schmuck will davon jedoch nichts wissen. Er sehe sich nicht als "Verkäufer von Weltanschauungsfragen", gibt er zu verstehen. "Ich will zum Nachdenken anregen."

Militärseelsorge ist bei der Bundeswehr eingebunden in die Struktur der Inneren Führung. Pfarrer beider Konfessionen kooperieren mit Truppenpsychologin, leitendem Mediziner und Personaloffizier. Was die Seelsorger von allen anderen unterscheidet: Sie gehen nicht in der militärischen Hierarchie auf. Soldaten können ihnen ihr Herz ausschütten, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Alle wissen: Ein Militärseelsorger schreibt keine Berichte. Viele hegen dagegen das Vorurteil, die Psychologin täte dies.

Geh-hin-Struktur

Es gibt in beiden christlichen Kirchen eine lange Tradition, über die Nähe zum Militär zu diskutieren. Noch zum 50-jährigen Jubiläum der katholischen Seelsorge in der Bundeswehr äußerte ein Vertreter der Friedensorganisation Pax Christi in der Festschrift die Sorge, eine Einbindung der Seelsorger in militärische Strukturen könne die "friedensethische Sendung" der Kirche beeinträchtigen.

Im Auslandseinsatz sind solche Debatten weit weg. Die Seelsorger verstehen ihren Dienst als den der "Kirche unter Soldaten" - so lautete denn auch der Titel der Festschrift. Er wolle eine "Geh-hin-Struktur" schaffen, sagt Pfarrer Schmuck. Also spricht er Leute an, ganz unabhängig von religiösen Ritualen. Beim Mittagessen. In der Kneipe, oder wie es im Bundeswehr-Jargon heißt: in einer der Betreuungseinrichtungen.

Allein im Lager Prizren gibt es davon acht. Sie heißen "Millennium Bar" oder "Notnagel". Auch die katholische Laienorganisation und ihr evangelisches Pendant betreiben gemeinsam eine Betreuungseinrichtung, die "Oase". Letztes Jahr war Schmuck schon einmal im Kosovo. Damals brachte er es fertig, den Komiker Bernhard Hoecker für einen Auftritt nach Prizren zu lotsen. Monate später sprach ihn ein Soldat in Deutschland darauf an: "Sie waren doch der ..."

Zu Hause bietet Schmuck seinen Leuten regelmäßig die Teilnahme an der Soldatenwallfahrt nach Lourdes an. "Ich verkaufe denen das immer als große Party", sagt der Gottesmann. Ein Satz, der manchen Gemeindepfarrer schaudern lassen würde. Schmuck aber weiß: "Die kommen sowieso verändert zurück."

Die Mischung aus persönlicher Ansprache und offenem Freizeitangebot hat Erfolg: Jeder kennt die Seelsorger, und zwar nicht nur wegen der Kreuze auf ihren Schulterklappen. Viele gehen auf sie zu, fassen in kurzer Zeit Vertrauen, finden in religiösen Angeboten einen Rückzugsraum, den das von jeder Intimität freie Lagerleben sonst nicht ermöglicht. Und manche schließen sich sogar im Auslandseinsatz der Kirche an: Taufen gibt es in jedem Kontingent.

Lesen Sie auf Seite 3, wie eine Bundeswehr-Soldatin im Kosovo getauft wird.

Auch Pfarrer Hans-Günter Breuer, der evangelische Seelsorger im Lager, darf an diesem Sonntag ein neues Schäfchen begrüßen. Es ist ein sonniger Vormittag, ganz dem feierlichen Anlass angemessen. Die Glocke der Feldkirche läutet, ein früheres Kontingent hat hier ein Gotteshäuschen ins Grüne gesetzt.

Es könnte auch eine Dorfkapelle am Starnberger See sein, Rosen säumen den Weg zur Pforte. Drinnen drängen sich die Kameraden, vielleicht 50 oder 60, der katholische Kollege Schmuck hat ebenfalls Platz genommen. "Von guten Mächten treu und still umgeben", spielt der Organist.

"Frau Hauptfeldwebel, lächeln, es tut nicht weh", sagt Breuer, ein etwas barocker Typ, der eine selige Freude ausstrahlt, "Sie werden nur ein bisschen nassgemacht und schon gehören Sie zu unserer großen Einsatzfamilie dazu." Der Chor singt, Breuer trägt das Schriftwort von Jesu Versuchung in der Wüste vor. Manchmal stelle sich jeder die Frage: "Warum bin ich eigentlich hier?" Er wünsche sich, dass Gott am Ende alles "positiv fügt", erklärt der Pfarrer, dass "wir fröhliche Christen sind" und dass "wir das Vertrauen niemals aufgeben möchten".

"Uwe, sach' ich jetzt einfach"

Dann bittet Breuer den Täufling nach vorn. Hauptfeldwebel Juliane S. tritt vorsichtig vor den Altar. Sie steht ein bisschen unsicher da, hat den Kopf zur Seite geneigt. Breuer wendet sich nun auch dem Taufzeugen zu, ihrem Lebensfährten, einem Oberstabsfeldwebel. Der Pfarrer zögert, sucht nach der richtigen Form.

Dann platzt das rheinische Temperament aus ihm heraus und mit ihm verschwindet für einen Moment die Unpersönlichkeit, die jeden Tag über viele Stunden das Leben im Lager bestimmt. Breuer guckt, nickt - und wählt den Vornamen: "Uwe, sach' ich jetzt einfach." Mit dem Kreuzzeichen nimmt er die Frau in die Gemeinschaft auf.

Dass sie sich taufen lassen wollte, erzählt Juliane S. später, habe sie bereits vor dem Einsatz gewusst. Sie habe sich schon immer evangelisch gefühlt, auch wenn sie damals in der DDR nicht getauft wurde. Die Atmosphäre in der kleinen Soldatengemeinde habe jetzt einfach die richtige Gelegenheit geboten. "Inniger" sei es hier, "persönlicher."

Zu Hause, sagt sie, gingen sie "nach Lust und Laune" in die Kirche, hier jede Woche, egal ob katholisch oder evangelisch: "Das gehört zu unserem Sonntagsritual." Auch das ist ein Gesicht der Militärseelsorge: Im kosovarischen Feldlager praktizieren Seelsorger und Gläubige wie selbstverständlich die Ökumene.

Viele lernen den Kosovo während ihres viermonatigen Einsatzes nur auf der Fahrt vom Flughafen zum Einsatzort und wieder zurück oder bei gelegentlichen Ausflügen während der "Dienstzeitunterbrechung" kennen. Die wenigsten haben regelmäßig draußen zu tun und erfahren persönlich, was ihr Tun bewirkt.

Bruder, Freund, Vater

Dabei gibt es noch jede Menge zu tun. Landeskenner wie der Jesuitenpater Walter Happel, der seit 2003 in Prizren das Loyola-Gymnasium aufgebaut hat, gehen davon aus, dass die Bundeswehr im Kosovo noch eine "Generationenaufgabe" vor sich hat. Doch der Bundestag verlängert den Kfor-Einsatz immer nur für ein Jahr.

Die Differenz macht manchen Soldaten zu schaffen, sie wünschen sich eine deutlichere Perspektive von der Politik. "Man braucht zu Hause ein Jahr, um wieder ins normale Leben zurückzukehren", sagt ein Soldat der Sanitätskompanie, mit der Pfarrer Schmuck sich am Abend bei einer Pizza zusammengesetzt hat. Er ist froh, einen "Gottesmann" in der Nähe zu wissen, auch wenn er selbst kein regelmäßiger Kirchgänger ist: "Der kann Bruder, Freund, Vater sein."

Eine Ärztin erzählt von ihren Erlebnissen in Afghanistan. Eine Frau hat sie dort gesehen, schrecklich verstümmelt, weil ihr Mann sie angezündet hatte. "Das sind Bilder, die nicht weggehen." Auch bei ihren Fahrten durchs Kosovo verspüre sie manchmal noch die Anspannung von damals. Mit ihrer Familie spricht sie nicht darüber, die kennt die Welt des Einsatzes nicht und soll sich vor allem keine Sorgen vor dem nächsten Abschied machen.

Auch Schmuck muss 2008 an den Hindukusch. Neulich hat ihn ein Soldat nach dem Sinn der Afghanistan-Mission gefragt. "Ich ringe dann auch um Antworten", bekennt der Seelsorger. Dem Ratsuchenden hat er gesagt: "Es ist besser, wir sorgen für Frieden in Afghanistan, als die Bomben vor der Haustür zu haben." Es könnte der Satz eines Politikers sein.

© sueddeutsche.de/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: