Merkel und ihr Menschenbild:Manchmal hilft nur beten

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Angela Merkel legt für einen Vortrag vor Katholiken ihre Kanzlerinnen-Rüstung kurz ab und offenbart ein seltenes Bild von ihr.

Thorsten Denkler, Berlin

Vor kurzem, erzählt Angela Merkel, habe sie sich mal mit der evangelischen Bischöfin Margot Käßmann bei einer Veranstaltung Fragen aus dem Publikum gestellt. Es waren viele Fragen. Ob alles gut wird und wenn ja, wie sie sich da so sicher sein kann. Ob genug getan wird und ob sie wirklich die richtigen Lösungen habe.

Ein seltener Ausflug ins Persönliche: Angela Merkel in der Katholischen Akademie. (Foto: Foto: ddp)

"Ich habe mich immer mehr verstrickt in der Beweisführung", bekennt Merkel. Dann habe die Bischöfin das Wort ergriffen: "Manchmal ist es so, da braucht man ein Stück Gottvertrauen", zitiert die CDU-Politikerin. "Da war ich erlöst."

Es ist einer der seltenen Momente, in denen Merkel ihre Kanzlerinnen-Rüstung ablegt und sich - sagen wir - verletzbar zeigt. Politiker sagen nicht gerne, dass sie keine Antwort haben oder schlimmer noch, auch nur beten können - zumal in der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise aller Zeiten. Angela Merkel hat es gewagt.

Ein Vortragsabend in der Katholischen Akademie Berlin am Dienstagabend hat diese Seite der Regierungschefin und CDU-Vorsitzenden zu Tage befördert. Zu besichtigen war eine Angela Merkel, die nachdenklich, launig und lustig sein konnte.

Dabei war das Thema keines, wofür sie einen Comedy-Preis bekommen könnte. Ihr christliches Menschenbild und seine Bedeutung für die praktische Politik - darüber spricht sie an diesem Abend.

Es geht um Demut und die Unvollkommenheit des Politikers

Ein Bekenntnis zum christlichen Glauben legt sie hier ab, so wie sie es selten öffentlich macht. Merkel trennt sonst scharf Sachpolitik von Religiösem.

An diesem Abend versucht die Kanzlerin zu zeigen, wie ihr inneres Bekenntnis sie in der täglichen Politik leitet. Es geht um Demut, um die Unvollkommenheit des Menschen und damit auch des Politikers. Vor allem aber um die Erkenntnis, dass "Politik nicht allmächtig ist, sondern immer ein Versuch ist, in Verantwortung vor Gott das Richtige zu tun".

Und das soll Merkel sein, die männermordende Domina der großen Koalition? Das ist sie wohl auch. Merkel weiß: In Krisenzeiten wollen die Menschen Führung. Da kann sie sich Ausflüge ins Persönliche nur selten erlauben.

Merkels Führungsmodell heißt: Rückbesinnung auf die Werte der sozialen Marktwirtschaft. Die sei eben kein x-beliebiges Wirtschaftsmodell, sondern "eine Form des Zusammenlebens", die den menschlichen Bedürfnissen am nächsten komme - um nicht zu sagen eine Lebensphilosophie. Dazu gehöre die Mitbestimmung auf allen Ebenen und das Prinzip, dass auf der Ebene gehandelt und entschieden werde, die es am besten könne.

Die gegenwärtigen "Exzesse der Märkte", wie sie sagt, könnten nur wieder ins Lot kommen, "wenn wir lernen, im Interesse des Ganzen zu denken". In den vergangenen Jahren aber seien individuelle Interessen "absolut gesetzt worden", erklärt Merkel. Das Gemeinwohl sei dabei "partiell auf der Strecke geblieben".

Etwas, das ihrem christlichen Menschenbild offenbar zutiefst widerspricht. Merkel geht davon aus, der der Mensch von Gott zur Freiheit "zu etwas" und nicht "von etwas" berufen sei. Eben Freiheit zu Verantwortung und nicht Freiheit von Verantwortung.

Merkel nennt sich selbst als bestes Beispiel. Als Physikerin in der DDR sei es leicht gewesen, Dienst nach Vorschrift zu machen. Darum seien Computer in der DDR nicht ohne Grund so "miserabel" gewesen. "Sie werden einfach luschig, wenn sie immer den Staat haben zum Entschuldigen", sagt Merkel.

Es habe lange gedauert, bis sie gemerkt habe, dass "ich im Wesentlichen für mich arbeite". Danach wäre sie niemals auf die Idee gekommen, bei gleichem Einkommen mit oder ohne Arbeit das Geld lieber vom Staat zu nehmen.

Kein Wort zur Kritik am Papst

Viele haben hier auch gewartet auf ein Wort zur ihrer Kritik am Papst, der einen bekennenden Holocaust-Leugner in den Schoß der Kirche zurückführte. Merkel hat dafür viel Kritik einstecken müssen aus den eigenen Reihen. Hier sagt sie dazu nichts.

Ihr muss zugutegehalten werden, dass überraschenderweise auch niemand danach fragt. Die Leitung der Katholischen Akademie hat offenbar in vorauseilendem Gehorsam eine Reihe von besonders engen Freunden der Akademie Fragen vorbereiten lassen. Ob Merkel ihre Papst-Kritik so wiederholen würde, will keiner der Honoratioren wissen.

Merkel ist das Procedere wohl suspekt. "Wollen wir noch ein, zwei Fragen zulassen?", unterbricht sie den moderierenden Akademiedirektor Joachim Hake, der gerade zu seiner Schlussbemerkung anhebt. "Sonst heißt es noch, hier sei alles vorbestellt."

Mit so viel Freiheit weiß Hake offenbar nicht viel anzufangen und lässt lediglich drei harmlose Fragen aus den ersten Reihen zu. Der Herr Professor, die Frau Landesministerin, der Herr stellvertretender Akademiedirektor. Merkel sprach von der Freiheit zu Verantwortung.

Wie schwer das sein kann, stellt der Akademieleiter in diesem Moment eindrücklich unter Beweis.

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