Merkel und die Union im Wahljahr:Die Kanzlerparteichefin

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Die Causa Glos ist ein Symptom für eine schwere Krankheit der Union: Erst zog Glos Seehofer am Nasenring durch die politische Arena, dann bildete der CSU-Chef Merkels Kabinett um. Im Wahljahr hängt alles von der Kanzlerin ab - die populärer ist als die beliebige, vielgesichtige Union.

Kurt Kister

In dieser Woche erregten zwei innenpolitische Ereignisse größeres Aufsehen. Zum einen will Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der auch Teilzeit-Kanzlerkandidat der SPD ist, im Wahlkampf auf seinen Vornamen Walter verzichten. Vielleicht wird das die Sozialdemokratie voranbringen. Zum anderen hat erst Michael Glos Horst Seehofer am Nasenring durch die Arena gezogen und anschließend bildete Seehofer Merkels Kabinett um. Das wiederum wird die Union sicher nicht voranbringen.

Gerhard Schröder gelang es 2002, die Schwäche seiner eigenen Partei auszugleichen. Merkel steht vor derselben Aufgabe. (Im Bild: Die Bundeskanzlerin mit Guttenberg und Glos bei Präsident Horst Köhler.) (Foto: Foto: dpa)

Die Causa Glos ist ein Symptom für die schwere Krankheit, welche die Union im Wahljahr befallen hat. Die Sozialdemokraten kennen diese Krankheit aus den Wahljahren 2002 und 2005. Es ist die Regierungspartei-Schwindsucht, deren wirksamstes Gegenmittel eine kräftige Dosis Bundeskanzler ist. Bei der Wahl 2002 gelang es Kanzler Gerhard Schröder, die Schwäche seiner eigenen Partei auszugleichen und gemeinsam mit ihr doch noch als Erste über die Ziellinie zu humpeln.

Schröders Erfolg lag darin begründet, dass er mit ironischer Skrupellosigkeit die nötige Distanz zur streitenden SPD schuf, dass er Union und FDP hart attackierte und ihm unverhofft fremde Mächte zu Hilfe kamen (George W. Bush und die Sommerflut). 2005 hätte es fast noch einmal geklappt, aber da hatten sich die fremden Mächte (z.B. Oskar Lafontaine) gegen Schröder gestellt.

Merkels Situation heute ist vergleichbar. Die Union ist zerstritten, zum einen zwischen Nordstaaten und Südstaat, also zwischen CDU und CSU. Zum anderen gibt es offene Auseinandersetzungen zwischen den Marktliberalen und den Sachzwang-Staatsinterventionisten. Diese Bruchlinien werden nicht nur in den Interview-Gefechten und den Hintergrundgesprächs-Kriegen deutlich.

Sehr gut sichtbar werden sie derzeit am Anwachsen der FDP in den Umfragen. Fast all jene, welche die Liberalen gegenwärtig mal auf 13, mal auf 18 Prozent bringen, sind vergrätzte Marktliberale aus dem CDU-Lager. Wie üblich legt die FDP nicht aus eigener Stärke zu, sondern weil sie von enttäuschten, zum Wechsel bereiten Wählern als Projektionsfläche der eigenen Erwartungen verstanden wird.

Im Pflegeheim der siechen Ideen

Die Union hat kein Profil mehr, das heißt, eigentlich hat sie viele, zu viele Profile. Die Wähler können sich aussuchen, welche Union sie denn gerne hätten: vielleicht die Peißenberger römisch-katholische CSU mit einem Schützenkönig als Generalsekretär oder die hanseatisch-urbane, angegrünte CDU mit dem Freiherrn von Beust oder die Koch'sche Vierkant-CDU aus Hessen oder die sächsische Alles-passt-drunter-CDU?

Die Union ist beliebig geworden, sie steht nicht mehr für eine bestimmte, genau zu bestimmende Politik. Der alte Früher-war-vieles-besser-Konservatismus ist tot oder zumindest im Pflegeheim der siechen Ideen und Ideologien. Ein Beispiel: Früher hatte ein CDU-Funktionär auf die Frage, was Familie ist, nur eine Antwort: Vater verheiratet mit Mutter, die getaufte Kinder erzieht. Heute gibt es auf diese Frage auch in der CDU sehr viele Antworten, obwohl prinzipiell oft ein Unbehagen darüber existiert, dass es heute so viele Antworten gibt, ja geben muss.

Jedenfalls ist die CDU ein mittelschichtiger, pragmatischer Wahlverein geworden, der sich schwertut, relevante, gar wirklich programmatische Unterschiede zur Mainstream-SPD zu definieren. Daher kommt es auch, dass die CDU mit fast jedem ganz gut regieren kann, egal ob Grün, Gelb oder Rot. Die SPD übrigens macht seit geraumer Zeit eine ähnliche Krise durch, die allerdings die Sozialdemokratie noch heftiger trifft. Programmatische Kämpfe innerhalb der eher rechthaberischen Linken führen oft zu Abspaltungen und Zerlegung, während dissidente Konservative zumeist nur resignieren, in die Wirtschaft gehen oder Gesprächskreise gründen.

Über alledem thront eine Kanzlerin, deren Beliebtheit im Volk keineswegs daher rührt, dass sie eine klar konturierte CDU-Chefin wäre - was sie auch gar nicht ist. Nein, Angela Merkel regiert wie eine Geschäftsführerin. Sie ruht, anders als Helmut Kohl, nicht in der Partei. Anders als Gerhard Schröder hat sie nicht einmal im Kanzleramt einen Zirkel von Leuten, die sie mitgebracht hat oder denen sie seit Jahren vertraut.

Sicherlich gibt es ihre Hausmeierin Beate Baumann. Ansonsten aber bekommen Zutritt und Nähe die, von denen sie in der je spezifischen Situation meint, sie könnten hilfreich und hinreichend intelligent sein. Das reicht vom Außenpolitiker Heusgen über Wirtschaftsberater Weidmann zum Regierungssprecher Wilhelm, vom Finanzminister Steinbrück über Vizekanzler Steinmeier bis zum CDU-Fraktionschef Kauder. Die meisten von ihnen sind Leute, die Merkel vor ein paar Jahren kaum oder gar nicht kannte. Das ist keine Hausmacht und schon gar kein Parteiklüngel. Merkel regiert, wie es kommt.

Merkels Mut des Moments

Merkel ist selten diejenige, die als Erste initiativ wird. Sie wartet ab, streckt die Nase in den Wind, und wenn sie glaubt, der Zeitpunkt sei richtig, dann handelt sie. Zu sehen war das bei der Aufregung über den Papst und die Piusbrüder. Erst als der Sturm in Deutschland bedrohlich angeschwollen war, als die jüdischen Gemeinden rebellierten, und Friede Springer den Kopf schüttelte, sagte Merkel ein paar Sätze. Die saßen, verärgerten etliche in der Union, erfreuten aber die Mehrheit der Deutschen.

Manchmal handelt Merkel gar nicht, weil sie meint, durch Nichtstun weniger Schaden anzurichten als durch Aktion. Dann können jene Situationen entstehen, die den Eindruck erwecken, die Regierung, die Koalition, ja Deutschland würden nach dem Zufallsprinzip oder gar nicht geführt. Ein Beispiel dafür waren die 48 Stunden nach Glos' Rücktrittsangebot: Glos trotzig, Seehofer hilflos, die CSU ohne Kopf und Herz, die Kanzlerin abgetaucht. Merkel hat durchaus den Mut des Augenblicks und Sinn dafür, wie man einen Moment nutzen kann. Aber sie ist gleichzeitig viel zu nüchtern und vorsichtig, um wirklich couragiert zu sein. Die Gabe, durch entschlossenes Handeln mit einiger Fortune vielleicht etwas Großes zu bewirken, fehlt ihr.

Auf viele Menschen wirkt sie solide, verlässlich, normal. Das erklärt ihre Popularität, mit der sie weit vor ihrer Partei liegt. Übrigens ist auch die relative Popularität Steinmeiers so zu erklären. Zwischen ihm und Merkel gibt es so viele Ähnlichkeiten, dass das beiden im Wahljahr nicht recht sein kann. Beide sind alles andere als Charismatiker. Aber es ist auch symptomatisch, dass der einzige Charismatiker unter Deutschlands Kanzlern, nämlich Willy Brandt, mehr an seiner Persönlichkeit als an den politischen Umständen gescheitert ist.

Angela Merkel jedenfalls wird die Union im September ziehen müssen, wenn ein gutes Wahlergebnis herauskommen soll. Die Partei ist nicht die Lokomotive bei dieser Fahrt, weil sie auf zu vielen unterschiedlichen Gleisen dahindampft. Insofern kann die Union sogar froh sein, wenn Merkel nicht primär als CDU-Chefin, sondern eben als Bundeskanzlerin ihren Wahlkampf und den der Union führt.

© SZ vom 14.02.2009/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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