Merkel auf dem CDU-Parteitag:Die Schattenkanzlerin

Lesezeit: 3 min

Angela Merkels große Rede zur großen Krise fällt aus. Dann stiehlt ihr ein Mann die Show, den sie eigentlich kaltgestellt hatte.

Thorsten Denkler, Stuttgart

Die Rede ist vorbei. Eine knappe Stunde hat sie gedauert. Die gut 1000 Delegierten auf dem Bundesparteitag der CDU in Stuttgart klatschen. Einige stehen auf. Andere folgen, bis alle der Kanzlerin pflichtgemäß stehenden Beifall zollen. Und irgendwie halten sie auch das ungeschriebene Gesetz ein, dass Reden von Parteivorsitzenden mit mindestens drei Minuten Applaus versehen werden. Egal, wie schlecht die Rede war.

Angela Merkel verstand es bei ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag nicht, die Delegierten zu begeistern. (Foto: Foto: Reuters)

Angela Merkel hat "eine ernste Rede in einer ernsten Zeit" gehalten, sagt später CSU-Generalsekretär Theodor zu Guttenberg. Die klassische Formulierung für einen Reinfall. Und doch wird Angela Merkel mit 94 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Sie ist schließlich die einzige Chance der Partei.

Die Erwartungshaltung war hoch. Deutschland rast in eine nie da gewesene Wirtschafts- und Finanzkrise. Aber der Politik fehlen die Antworten. In der CDU ist ein Streit darüber ausgebrochen, ob Steuersenkungen helfen. Die Kanzlerin meint Nein, vor allem die Mittelständler in der CDU finden doch.

Und dann drückt da noch die CSU, die nach Niederlagen mit Pendlerpauschale und Erbschaftsteuer jetzt hofft, wenigstens bei der Forderung nach Steuersenkungen mit einem klar erkennbaren Erfolg punkten zu können. Guttenberg hat am Rande des Parteitages schon angekündigt, bis Anfang Januar mit der CDU eine Einigung über die Steuerfrage hinzubekommen.

Merkel versucht, mit bewährten Versatzstücken aus ihren Reden die Menschen zu gewinnen. Sie beginnt ihre Rede so, wie sie ihre Rede auf dem Parteitag in Hannover im vergangenen Jahr beendet hat: "Willkommen in der Mitte. Die Mitte war und ist Deutschlands Stärke. Die Mitte sind wir. Die Mitte, das ist die CDU Deutschlands." Vier Sätze, viermal Mitte. Viermal ohne Wirkung.

In Hannover wurde sie für diese Positionsbestimmung noch gefeiert. Jetzt ist der Applaus spärlich. Die Delegierten wollen Konkretes hören.

Stattdessen lobt sie die "erfolgreiche Politik von CDU und CSU in Deutschland" seit Beginn der großen Koalition 2005. Arbeitslosenzahlen unter drei Millionen, höchste Zahl der Erwerbstätigen, mehr Geburten, mehr Geld für Bildung und Forschung.

Auf die Wirtschaftskrise gibt sie auch eine Antwort, eine ganze einfache: "Man hätte nur die schwäbische Haufrau fragen sollen. Sie hätte uns eine ebenso kurze wie richtige Lebensweisheit gesagt, die da lautet: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben."

Aus dieser schönen Weisheit leitet Merkel ab: "Was wir nicht machen werden, das ist eine strukturelle Steuerreform an die Stelle sofort wirkender, zeitlich befristeter Konjunkturimpulse zu setzen." Thema beendet.

Sie spricht dann noch über Klimaschutz und wie wichtig es sei, diesen trotz Krise nicht aus den Augen zu verlieren. Viel Applaus bekommt sie, als sie Bundespräsident Horst Köhler lobt, ein paar Lacher erntet sie, als sie bemerkt, dass es für Oskar Lafontaine eine "angemessene Strafe" sei, jetzt Vorsitzender der SED-Nachfolgepartei zu sein. Aus der großen programmatischen Rede ist nichts geworden.

Lesen Sie auf Seite zwei, welcher Rivale Angela Merkel die Schau stahl.

Worte der Woche
:"Wie ein Betrunkener bei Windstärke zwölf"

Ein tödliches Lob, politische Geisterfahrer und die Schwäche des Dalai Lamas für Carla Bruni. Die Worte der Woche in Bildern.

Die hat dann ein anderer in viel kürzerer Zeit gehalten: Friedrich Merz. Den Erfinder der Bierdeckel-Steuererklärung hat Merkel politisch eigentlich kaltgestellt. Aber kürzlich hat ausgerechnet der auch von Unions-Freunden als "Totalausfall" wahrgenommene CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos ihn zu seinem Berater gemacht. Merz ist wieder en vogue in der Union.

Der Sauerländer bekommt schon Applaus, als er die Bühne betritt. Merz spricht im Gegensatz zu Merkel frei. Noch kurzatmig vom Kurzsprint zum Pult unterstützt er Merkel hechelnd in der Einschätzung, dass eine Weltwirtschaftskrise ins Haus stehe. Dann ist es aber auch schon so gut wie vorbei mit den Gemeinsamkeiten.

Schonungslos offenbart er den Delegierten seine Analyse der Weltlage. Kreditklemme? Ist schon da. Steuergeschenke? Dafür derzeit kein Spielraum. Große Steuerreform: Zum jetzigen Zeitpunkt nicht realisierbar.

Dann macht Merz das, was Merkel nicht geschafft hat: Er zeigt seinen Parteifreunden, wie die CDU den Bürgern trotzdem vermitteln kann, dass es die CDU ernst meint mit ihren Steuersenkungsversprechen, die sie an diesem Montag noch beschließen wird. Man müsse nur dafür sorgen, dass der Staat nicht quasi als "steuerpolitischer Trittbrettfahrer" auch noch an dem bisschen Mehreinkommen verdiene, das die Tarifpartner in moderaten Abschlüssen vereinbart hätten.

Sein Weg: Die Einkommenssteuer so umbauen, dass der Mehrverdienst nicht von der kalten Progression aufgefressen wird. Das sei keine Steuersenkung, sagt Merz, sondern lediglich der Verzicht auf Mehreinnahmen des Staates durch höhere Gehälter.

Wenn dann die CDU noch ihre Kompetenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik entdecke und das Feld nicht den Sozialdemokraten überlasse, dann habe die CDU eine große Chance, "trotz oder gerade wegen der Krise die Bundestagswahl 2009 zu gewinnen".

Das war alles in allem mehr als eine Spitze gegen die Kanzlerin, die es immer noch nicht geschafft hat, die wirtschaftspolitisch offene Flanke der CDU zu schließen. Wirklich geschmerzt aber haben müsste sie der Beifall für Friedrich Merz nach dessen Auftritt. Spontan, nachhaltig und so lang, dass noch der Folgeredner davon begleitet wurde. Eigentlich hätte Merz als einfaches Parteimitglied im Schatten Merkels stehen müssen. So stand Merkel im Schatten ihres Rivalen Merz.

Merkel mag mit ihrer Politik der ruhigen Hand recht haben. Aber offensichtlich hat sie verlernt, das Richtige überzeugend zu kommunizieren. Wenn sie es je gekonnt hat.

© sueddeutsche.de/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: