Menschenwürde:Die Zeichen der Zeit

Der Mensch hat seine Würde nicht nur, solange er nicht flieht.

Von Heribert Prantl

Zwar kommt die Zeit aus der Hafenstadt Hamburg, sie ist aber kein Schiff, sondern eine Wochenzeitung. Sie ist nicht an Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrinken, vorbeigefahren; das wäre strafbar, es wäre unterlassene Hilfeleistung. Sie hat sich aber an ertrinkenden Flüchtlingen vorbeigeschrieben.

In der jüngsten Ausgabe, die den Titel "Sei mutig" trägt, hat sie unter der Überschrift "Oder soll man es lassen" ein "Pro und Contra" darüber publiziert, ob private Helfer Flüchtlinge aus Seenot retten sollen und ob das überhaupt legitim ist. Später, wohl auch nach viel Kritik, hat sie dann die Überschrift geändert und nur noch gefragt, ob private Hilfe für Flüchtlinge gut "oder nur gut gemeint" ist. So ein Pro und Contra ist gut gemeint, aber nicht gut. Es relativiert Menschenwürde.

Liberal ist, hat Gustav Stresemann gesagt, "wer die Zeichen der Zeit erkennt und danach handelt". Die Zeichen der Politik markieren eine immer rigorosere Flüchtlingspolitik. Sind das auch die Zeichen der Zeit? Gebieten sie weniger Humanität oder mehr? Flüchtlinge zur Abschreckung ertrinken zu lassen, macht Menschen zum Objekt. Man kann das diskutieren mit dem Argument, man müsse über alles reden. Aber auch da gilt eine Grundnorm: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Mensch hat sie nicht nur, solange er nicht flieht.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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