Meine Presseschau:Staatsstreich

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In Brasilien ist die regierende Koalition zerbrochen. Jetzt sucht das Land nach Lösungen für die Krise. Viele Kritiker werfen den Massenmedien vor, durch ihre negative Berichterstattung den Sturz der Regierung vorzubereiten. Einige sprechen bereits von einem Staatsstreich.

Von Boris Herrmann

Nach dem Bruch der Koalition in Brasilien stellt sich für Dilma Rousseff die Machtfrage. Die Präsidentin von der linken Arbeiterpartei PT ist bis 2018 gewählt, derzeit läuft im Kongress aber ein Amtsenthebungsverfahren, das mit Tricksereien beim jüngsten Haushaltsentwurf begründet wird. Heftig streitet das Land nun darüber, ob es sich dabei um ein legitimes Verfahren handelt oder um einen verkappten Staatsstreich.

Für die konservative Zeitung O Estado de São Paulo geht alles mit rechten Dingen zu. Sie freut sich auf die Zeit nach Rousseff - und auf ein Land, das vom derzeitigen Vizepräsidenten Michel Temer regiert wird; dessen Partei PMDB hat gerade die Koalition gekündigt. Spätestens im Mai, wenn die Olympische Fackel in Brasilien erwartet wird, soll es soweit sein: "Die Erwartung ist, dass dann eine Feststimmung herrscht, ein Geist der Versöhnung und des Neuanfangs - mit einer neuen Regierung, die man vorzeigen kann."

Die Zeitung Folha de São Paulo bewertet die Rolle der Partei Temers deutlich kritischer. "Die PMDB hat klargemacht, dass sie das Impeachment-Verfahren als eine Abkürzung begreift, um ohne allgemeine Wahlen in den Präsidentenpalast zu gelangen." Sollte Rousseff tatsächlich stürzen, so Folha, dann liege das nicht daran, dass sie kriminelle Handlungen begangen habe - "das ist nicht ausgeschlossen, aber das steht in diesem Verfahren nicht zu Debatte" - sollte sie stürzen, dann allein deshalb, weil sie ihre politische Basis verloren hat.

Die Zeitung O Globo diskutiert deshalb über einen von PT-Politikern ins Spiel gebrachten Kompromiss: Neuwahlen im Oktober, gemeinsam mit den anstehenden Kommunalwahlen. Die einflussreiche Zeitung aus Rio hält den Vorschlag allerdings für wenig hilfreich, weil das Land "nicht erträgt, so lange führungslos zu sein." O Globo meint deshalb: "Das Impeachment ist die effizienteste und schnellste verfassungsgerechte Lösung" für Brasiliens Probleme. Mit einem Staatsstreich habe das nichts zu tun.

Der brasilianische Schauspieler Wagner Moura, unter anderem bekannt durch seine Hauptrolle in der Netflix-Serie "Narcos", sieht das ganz anders. In einem Gastbeitrag für die Folha schreibt er: "Was derzeit in Brasilien vor sich geht, ist der revanchistische Versuch, die Wahlen von 2018 vorzuverlegen und durch eine politisch motivierte Justiz eine Regierung zu stürzen, die von 54 Millionen gewählt wurde. Ein klassischer Staatsstreich."Moura prangert die aus seiner Sicht manipulative Rolle der notorisch regierungskritischen Massenmedien an. Da werde der Irrglaube verbreitet, wer das Impeachment kritisiere, sei für Korruption. "Wir sind alle dafür, dass korrupte Politiker eingesperrt werden, aber das rechtfertigt nicht dieses typische 'alle Mittel sind recht' von totalitären Staaten." Moura erinnert in seinem flammenden Beitrag auch an die antidemokratische Vergangenheit Brasiliens: "Der Kampf gegen die Korruption war auch das Motto derer, die den Militärputsch von 1964 unterstützten."

Wie dieser schmutzige Machtkampf ausgeht, hängt aus Sicht von O Estado auch vom weiterhin einflussreichen Ex-Präsidenten Lula ab, der selbst mit einer Rückkehr ins höchste Staatsamt liebäugelt: Erklärt er einem möglichen Präsidenten Temer den Krieg oder versucht er, mit ihm einen Pakt zu schmieden? "Für Lula geht es jetzt weniger darum, Dilma zu retten, als darum, dass die PT und er selbst nicht mit ihr untergehen", glaubt O Estado. Die unwahrscheinliche, aber nicht unmögliche Option, dass Rousseff bis 2018 durchhält, wird gar nicht mehr diskutiert.

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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