Meine Presseschau:Vor Olympia

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Brasilien bereitet sich auf das größte Sportereignis dieses Jahres vor. Dabei befindet sich das Land in einer schweren politischen Krise. Einige Kommentatoren glauben, dass sich die Investitionen in den Sport nicht lohnen werden.

Ausgewählt von Boris Herrmann, Rio

"Die Spiele mögen beginnen!", schrieb Rio de Janeiros größte Tageszeitung O Globo auf die Titelseite ihrer Freitagsausgabe. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Plädoyer zur Vorverlegung der olympischen Eröffnungsfeier, die für den 5. August eingeplant ist, sondern um eine Karikatur. Tags zuvor war Brasiliens unbeliebtester Politiker Eduardo Cunha endlich vom Amt als Parlamentspräsident zurückgetreten, das er wegen Korruptionsvorwürfen zuletzt ohnehin nicht mehr hatte ausüben dürfen. Der Zeichner von O Globo zeigte Cunha in olympischer Sportkleidung, bereit für seine Paradedisziplin: politische Trickserei. Die Kommentatoren aller großen Zeitungen sind sich einig, dass er sein Amt nur aufgibt, um zumindestMandat und Immunität zu retten. Die Karikatur ist auch deshalb so bemerkenswert, weil sie die allgemeine Nachrichtenlage sehr schön wiedergibt: Olympia spielt noch immer eine Nebenrolle.

Schon klar, dass hier in vier Wochen ein großes Sportfest stattfindet - aber eigentlich hat Brasilien ganz andere Sorgen: die täglichen Korruptionsenthüllungen, der Kleinkrieg um das Präsidentenamt sowie die schwere Wirtschaftskrise, die zuletzt zur Erklärung des Finanznotstandes im Bundesstaat Rio de Janeiro führte. Die notwendigen Investitionen in Olympia stehen vor diesem Hintergrund zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Die Folha de São Paulo schreibt: "Es ist Zeit abzuwägen, ob es das alles wert war." Während sich Rio ohne öffentliche Debatte die Bürde der Austragung aufgehalst habe, sei in anderen Städten zunächst über den Preis diskutiert worden. "In München und Hamburg wurde die Kandidatur an den Urnen abgelehnt. Die Brasilianer hatten leider nicht dieselbe Chance wie die Deutschen", kritisiert die Folha.

Im Konkurrenten O Globo stand derweil dieser bemerkenswerte Satz: "In der gegenwärtigen Situation hätte Rio vom IOC wohl nicht den Zuschlag zur Austragung bekommen." Dabei handelte es sich nicht etwa um die Meinung der Redaktion, sondern um einen Auszug aus einem Interview mit Carlos Nuzman, dem Chef des Organisationskomitees von Rio 2016. Selbst der sonst so optimistische Bürgermeister Eduardo Paes räumte gegenüber Globo ein: "Die Lage ist sehr schlecht." Und damit war keineswegs das Zika-Virus gemeint. Während man sich im Rest der Welt um eine Mücke sorgt, die derzeit Winterpause macht, konzentrieren sich die Sorgen vor Ort vor allem auf die öffentliche Sicherheit. Wegen des Finanznotstandes müssen die Polizisten des Bundesstaates Rio monatelang auf ihr Gehalt warten, es fehlt sogar an Geld, um ihre Einsatzwägen zu tanken. In einigen bereits befriedeten Favelas der Stadt, wird wieder wild geschossen. "Wir befinden uns in einem Bürgerkrieg, der nicht erklärt wurde", stand in der Folha de São Paulo.

Das Wochenmagazin Época wiederum gibt in einer Sonderausgabe jenen eine Stimme, die das ganze Krisengerede für übertrieben halten. Da werden vor allem die Großinvestitionen in neue Verkehrswege und moderne Sportstätten gefeiert sowie die Wiederbelebung des lange Zeit vor sich hinschimmelnden historischen Zentrums. "Das alles gibt uns die Hoffnung, dass Rio nach diesen Spielen eine bessere Stadt für alle sein wird, für die Bewohner genau so wie für die Touristen", heißt es im Leitartikel. Das mag naiv klingen, aber Época steht damit keineswegs alleine. Trotz aller offensichtlichen Probleme und Widersprüche ist der weltberühmte Optimismus der Cariocas, wie sich Rios Bewohner nennen, unerschütterlich. Laut O Globo glauben immer noch über 60 Prozent der Stadtbevölkerung daran, dass diese Spiele ein großer Erfolg werden.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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