Meine Presseschau:Türkische Fragen

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Peter Münch ist Korrespondent der SZ in Österreich. (Foto: sz)

Israel und die Türkei haben ein Aussöhnungsabkommen unterzeichnet. Israels Presse ist misstrauisch.

Von Peter Münch

Wenn es um die Ehre geht, ist die Ratio meist nachgeordnet. Im Politischen wie im Privaten kann Ehrhuberei Beziehungen ruinieren. Dass es dieses archaische Muster auch im 21. Jahrhundert noch gibt, haben beispielhaft Israels Premierminister Netanjahu und der türkische Staatschef Erdoğan bewiesen: Nachdem Israels Marine auf einem Schiff, das mit Hilfsgütern beladen die Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen wollte, neun türkische Staatsbürger getötet hatte, verstrickten sich die vormaligen Freunde in einen zähen Konflikt. Sechs Jahre hat es gedauert, bis sie in dieser Woche ein Versöhnungsabkommen besiegelt haben, zu dem auch eine Entschädigung für die Familien der Opfer gehört. Vorteile eröffnen sich daraus für beide Seiten. Doch ungeteilt ist die Freude darüber längst nicht in der israelischen Öffentlichkeit.

Umfragen belegen, dass die Mehrheit der Bevölkerung dieses Abkommen ablehnt. Dahinter steht eine Befindlichkeit, die sich im israelischen Alltag oft in dem Satz ausdrückt: " Ani lo freier", übersetzt: Ich bin doch kein Schwächling. Nach israelischer Lesart war der Vorfall auf der Mavi Marmara ein Mittel der Terrorabwehr, weil die Blockadebrecher mit Äxten und Knüppeln auf die Soldaten losgegangen waren. "Nicht Israel sollte sich bei der Türkei entschuldigen, vielmehr sollte sich die Türkei bei Israel entschuldigen", schreibt deshalb Ben-Dror Yemini im Massenblatt Jedioth Achronoth. Von einem "irritierenden Abkommen" spricht er und malt dem Leser aus, was wohl passieren würde, wenn umgekehrt Israel ein Hilfsschiff zu den Kurden schicken würde. Kleinkarierte könnten einwenden, dass dieses Schiff dann wohl erst einmal auf eine Sintflut warten müsste, um nach Diyarbakir zu gelangen. Der viel beachtete Kommentator aber folgert, dass dann natürlich alles viel brutaler abgelaufen wäre: "Es hätte nicht mit neun Toten geendet, sondern mit einem Blutbad."

Nach diesem Exkurs allerdings kommt auch er zum Ergebnis, dass dieses Abkommen letztlich nötig war, "weil in internationalen Beziehungen die Staaten nach ihrem Eigeninteresse handeln. Unser Interesse erfordert es, mit der Türkei zu kooperieren, die trotz allem eine Regionalmacht ist." Damit bewegt er sich auf den medialen Mainstream zu. Ben Caspit kommt in Maariw zum Ergebnis, dass "weder Erdoğan noch Netanjahu andere vernünftige Optionen hatten. Sie brauchen sich jetzt gegenseitig. Sie mögen das nicht, aber sie haben es als wahr erkannt. Die Alternative wäre weit negativer." Im selben Blatt spricht Yossi Melman von einem "notwendigen Übel" und erinnert an die Vorteile, zu denen er unter anderem neue Absatzmärkte für Israels Gasexport zählt.

"Das Abkommen im Ganzen ist größer als die Summe seiner Teile", bilanziert die linke Tageszeitung Haaretz. Ungeschoren kann das stets regierungskritische Blatt Netanjahu aber nicht lassen. Der Vorwurf: Diese Versöhnung hätte viel früher kommen müssen. Doch spät ist besser als gar nicht, heißt es. "Selbst wenn wir in der Erdoğan-Ära keine Rückkehr zur Hochzeit der Beziehungen in den Neunzigerjahren erwarten können, ist der türkische Wandel von Feindseligkeit zur diplomatischen Korrektheit immer noch von großem Wert." Jenseits der abgehobenen Analysen aber bringt allein der Karikaturist von Haaretz auf den Punkt, was die Bevölkerung an diesem Abkommen bestimmt am meisten interessiert: Die Türkei steht wieder offen als Urlaubsland. Er zeigt das Ehepaar Netanjahu beim Kofferpacken für die Reise nach Antalya, und Gattin Sara, die bekanntlich gern ein paar Vorteile nutzt, erklärt: "Das Beste daran ist, dass alles im Preis drin ist."

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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