Meine Presseschau:Sorgenvoll

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(Foto: N/A)

Angesichts der angekündigten Annäherung zwischen Moskau und Washington wächst in der Ukraine die Furcht, dass die unbedingte Solidarität des Westens abnimmt. Doch selbst eine Annäherung an die EU wird nicht nur hoffnungsvoll gesehen.

Zusammengestellt von Cathrin Kahlweit, Wien

In der Ukraine wird - nach orthodoxer Tradition und julianischem Kalender - an diesem Wochenende Weihnachten gefeiert. Passend zum hohen Festtag sind auch die Medien voll mit grundsätzlichen, vor allem aber sorgenvollen Aufsätzen zur Zukunft des Landes. Angesichts der angekündigten Annäherung zwischen Moskau und Washington, aus ukrainischer Sicht mithin zwischen Aggressor und engstem Verbündeten, wächst die Furcht, dass die unbedingte Solidarität des Westens abnimmt. Zumal auch die mögliche nächste Präsidentin Frankreichs, Marine Le Pen, jüngst festgestellt hat, aus ihrer Sicht sei der Anschluss der Krim an Russland qua Referendum legitim gewesen. Die Kyiv Post druckt daher ein Editorial des ehemaligen US-Botschafters in der Ukraine, Steven Pifer, ab, der warnt, das Schicksal meine es 2017 nicht gut mit der Ukraine. Wladimir Putin habe keinen Grund, seine Haltung zum Krieg in der Ostukraine zu ändern. Offenbar seien Kosten und Risiken für ihn überschaubar. "Warum", so Pifer, "sollte Putin Kompromisse machen, wenn die Sanktionen wackeln und die Position des Westens, zum Beispiel in der Krim-Frage, erodiert?" Russland werde daher die Spaltung des westlichen Lagers nur weiter befördern.

Mehrere Medien publizieren, motiviert durch solche pessimistischen Prognosen, dazu ein besonders düsteres Szenario von Alexander J. Motyl, der an der Rutgers University in Newark lehrt: Es gebe immer mehr Indizien dafür, so der Politikwissenschaftler, dass Moskau einen Landkrieg gegen die Ukraine vorbereite. Für seine Analyse arbeitet sich der Autor durch russische Publikationen und sammelt Stimmen, die einem offenen Krieg und ethnischen Säuberungen das Wort reden.

Auch der ukrainische Verteidigungsminister, Stepan Poltorak, warnt im Kanal 5, der Präsident Petro Poroschenko gehört, vor der Stärke des Gegners. Offenbar will die Regierung auch im neuen Jahr die dramatische Lage im Donbass zum Hauptthema machen. Die Armee der Separatisten im Donbass zähle derzeit 40 000 Soldaten, allein 5000 davon seien reguläre russische Militärangehörige, so Poltorak. 2016 habe die Gegenseite insgesamt 16 000 Mal die Waffenruhe verletzt. Überprüfbar ist das nicht, aber es zeigt, dass Kiew sich in der Defensive sieht, auch militärisch.

Parallel geht die Präsidial-Administration rhetorisch in die Offensive - mit einem Meinungsbeitrag im Wall Street Journal, der als Retourkutsche gedacht ist. Vor wenigen Tagen hatte der Oligarch Wiktor Pintschuk in eben diesem Blatt für weitreichende Kompromisse mit Moskau geworben, unter anderem mit dem Verzicht auf die Krim. "Angst und Schwäche sind keine guten Ratgeber", antwortete ihm nun ein hochrangiger Mitarbeiter von Poroschenko. Es gebe rote Linien, so Konstantin Jeliseejew, die kein Ukrainer überschreiten dürfe. Und es gebe keine Alternative zur europäischen Integration des Landes.

Moskau als immer stärker werdender Angstgegner, das zerfallende, schwächelnde Europa als gleichwohl letzte Hoffnung - das ist der Stoff, aus dem derzeit ukrainische Albträume gemacht sind. Die Außenpolitikexpertin Nadeschda Kowal analysiert in der Ukrainskaja Prawda, dass die EU an einem Scheidepunkt ihrer Entwicklung stehe. Mehr als fraglich sei, ob die Ukraine sich an diese Entwicklung anpassen könne - oder eines der Opfer des Zerfallsprozesses sein werde. Einzig der ukrainische Botschafter in Österreich, Alexander Scherba, zeichnet in Zerkalo Nedeli ein anderes Bild: "Es kommt auf uns an", schreibt er. Nur wenn die Ukraine sich weiter reformiere und zum Modell einer demokratischen Gesellschaft werde, habe das Land eine gute Perspektive.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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