Meine Presseschau:Russland und die Nato

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(Foto: sz)

Washingtons Kolonne, überflüssig oder gefährlich? Was russische Medien über das westliche Militärbündnis und die Sicherheitspolitik des eigenen Landes denken.

Ausgewählt von Julian Hans, Moskau

Zum ersten Mal seit zwei Jahren tagte in dieser Woche wieder der Nato-Russland-Rat. Brüssel hatte die Treffen nach der Annexion der Krim ausgesetzt. Der Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow schreibt dazu in der Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta: "Der Wert des Nato-Russland-Rats als politisches Organ geht gegen null. Der Austausch bekannter und unvereinbarer Positionen läuft auch so. Dennoch: Wie wichtig Kontakte heute sind, liegt auf der Hand. Es gibt ganz offensichtlich Bedarf, sich über Verhaltensregeln zu verständigen. Im Juli findet der Nato-Gipfel in Warschau statt. Die Länder, die sich als "Frontstaaten" betrachten (das Baltikum, Polen und andere), hoffen auf eine klare Demonstration der Solidarität und der Abwehrbereitschaft. Die großen europäischen Staaten sind bereit, ein Signal an Russland zu senden, wollen es dabei aber nicht übertreiben. Am Ende wird es wohl auf einen Kompromiss hinauslaufen: Gemäßigte Schritte werden von unmäßiger Rhetorik begleitet werden (um die bescheidenen Taten zu kompensieren). Das wiederum ruft entsprechende Reaktionen Russlands hervor.

Die Iswestija, ein Sprachrohr der Falken in Geheimdienst und Militär, veröffentlicht eine Analyse des Militärexperten Viktor Litowkin: "Warum hat die Nato den Rat wiederbelebt? Wichtigster Grund sind die Erfolge des russischen Militärs bei der Anti-Terror-Operation in Syrien. In Brüssel und Washington haben sie verstanden, dass Russland eine ernstzunehmende Macht ist, mit der man rechnen muss. Warum haben wir zugestimmt? Das ist die große Frage. Denn in Wahrheit ist die Nato keine eigenständige Organisation, sie ist ein Vasall der Vereinigten Staaten, ein gut geschmiertes militärisch-politisches Instrument Washingtons zur Knechtung und Steuerung Europas. Deshalb lohnt es sich nicht, einen Dialog mit der Nato zu führen. Wir sollten den leeren Gesprächen im Nato-Russland-Rat eine Absage erteilen und einen Rat Russland-USA organisieren. Moskau und Washington müssen direkt verhandeln. Stoltenberg und seine Mannschaft sollen so lange eine rauchen gehen.

Auch der Moskauer Sicherheitsexperte Alexander Golz sieht das Treffen kritisch, aus anderen Gründen. Auf dem unabhängigen Portal ej.ru schreibt er ironisch: "Um die harte russische Position noch einmal zu bekräftigen, sind unsere Bomber zehn Meter über die Masten eines amerikanischen Zerstörers hinweggeflogen, der in der Ostsee unterwegs war. Und damit niemand glaubt, das war ein Zufall, wurde ein ähnliches Manöver am nächsten Tag mit einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug wiederholt. Wie wir sehen, wird alles dafür getan, damit der Nato-Russland-Rat in positiver Atmosphäre tagen kann. Der zweite Kalte Krieg hat längst begonnen, und er wird gefährlicher sein als der erste. Russland verfügt nicht über die Ressourcen der Sowjetunion. Um sich mehr Gewicht zu verleihen, versucht der Kreml, den Westen vom eigenen Wahnsinn zu überzeugen: Lasst besser die Finger von uns, wir sind ein bisschen verrückt. So wird aus dem Dialog zwischen Russland und dem Westen eine lange Beratung darüber, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um im 21. Jahrhundert wieder Vertrauen herzustellen. (...) Die Nato wird gezwungen, mit dem Kreml über Rüstung zu verhandeln - das einzige Feld, in dem Russland wenigstens gleich stark ist wie der Westen. Solche Verhandlungen dienen dann als Bestätigung unseres Status als Supermacht. Hält unser Land einen neuen Rüstungswettlauf durch? Es genügt, sich daran zu erinnern, dass der letzte zum Untergang der Sowjetunion geführt hat."

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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