Meine Presseschau:Polnische Sorgen

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In Polen ist Wahlkampf. Das Land steht gut da, trotzdem wählt eine enttäuschte Generation.

Ausgewählt von Florian Hassel

Polen ist nicht Griechenland. Klare Sache, nicht nur weil zwar fast eine halbe Million Polen gern in Griechenland urlauben, aber es kaum einen Griechen in die polnische Kühle zieht. Doch Polens führende Zeitung Gazeta Wyborcza erinnert trotzdem daran. Auch die Polen sorgen sich, was passieren wird, sollten die Griechen tatsächlich aus dem Euro hinaus- und in einen Bankrott hineinschlittern. Dann könnte auch der Kurs der polnischen Währung einbrechen - wenn auch nur vorübergehend: Schließlich übt sich Polen in Haushaltsdisziplin, hat keinen Schuldenberg und eine wachsende Wirtschaft, beruhigt die Zeitung in einem bunt auf der Titelseite beworbenen Spezial "Schmerzt ein Bankrott Griechenlands auch die Polen?"

Solches Werben um den Leser hatte die Zeitung früher nicht nötig. Da verkaufte die Gazeta, im zerbröselnden Kommunismus Polens erste freie Zeitung, einmal 450 000 Exemplare - heute sind es gerade noch 165 000. Auch andere Zeitungen sind abgestürzt - etwa die konservative Rzeczpospolita von fast 200 000 auf 46 000 Exemplare. Viele junge Polen lesen keine Zeitung mehr; dass Zeitungen hier meist nicht abonniert, sondern am Kiosk gekauft werden, erleichtert den Nicht-Kauf. Vielleicht sind viele Leser auch den ausgeprägten Meinungsjournalismus leid, eine Tradition polnischer Zeitungen. Er mochte seinen Sinn in der Geschichte gehabt haben - etwa im 19. Jahrhundert, als Polen zwischen Preußen, Russland und Österreich-Ungarn aufgeteilt war und Zeitungen die nationale Identität bewahrten. Oder auch in der Endzeit des kommunistischen Regimes.

Heute aber gibt es, zumindest vordergründig, nicht viel zu kämpfen. Polens Wirtschaftsaufschwung ging selbst in der Finanzkrise 2008/2009 weiter. Vielen Polen aber reicht das nicht. Im Mai wählten sie ihren Präsidenten ab, und es sieht so aus, als sollte die ihm verbundene Mitte-rechts-Regierung, die Polen seit acht Jahren vorsteht, nach einer Parlamentswahl im Oktober in den Ruhestand folgen. In Umfragen liegt die Regierung weit hinter der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS); auch die Bewegung des Punkrocksängers Paweł Kukiz gewinnt Sympathien. In einer solchen Umbruchzeit könnte Polens Presse erklären, warum die Polen eine vordergründig erfolgreiche Regierung so abstrafen. "Die Regierung hat Erfolge - aber die PiS und Kukiz die Wähler . . . Die am besten ausgebildete Generation in der Geschichte ist auch die enttäuschteste Generation", urteilt das Wochenmagazin Polityka bei einem Erklärungsversuch - ohne freilich mit auch nur einem Wähler gesprochen zu haben. Auch anderswo wird zwar über reale Polen und ihre Sorgen geschrieben, doch selten kommen sie zu Wort.

Freilich bieten nun, im Wahlkampf, auch Politiker Polens Presse reichlich Stoff. Die für den Posten der Regierungschefin kandidierende Beate Szydło von der Opposition und Ministerpräsidentin Ewa Kopacz überbieten sich mit teuren Wahlversprechen. Im Kampf um die Wählergunst ordnete Kopacz zu Ferienbeginn auf der eigentlich mautpflichtigen Autobahn sogar kostenfreie Durchfahrt in die Ferienquartiere an. "Im Verlauf weniger Monate hat sich die Partei der Mäßigung in eine Partei der Maßlosigkeit . . . und Verschwendung verwandelt", ätzte Tomasz Wróblewski, Chefredakteur des konservativen Wochenmagazins Wprost. Würden in Polen alle Wahlversprechen - von Mutterschaftsprämie und höherem Kindergeld bis zur Senkung des Rentenalters - tatsächlich umgesetzt, schrieb die Gazeta Wyborcza, würden Ausländer wohl noch einmal nachdenken, ob Polen nicht doch Griechenland sei.

© SZ vom 04.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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