Meine Presseschau:Pfeifkonzert

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Thomas Urban ist SZ-Korrespondent in Madrid. (Foto: N/A)

Ein möglicher Sieg des FC Barcelona am Samstag im Berliner Olympiastadion könnte den katalanischen Nationalismus weiter fördern. Deshalb würden sich viele Spanier freuen, wenn Juventus Turin gewänne.

Ausgewählt von Thomas Urban

Nicht nur Millionen spanischer Fußballfans werden an diesem Samstag ins Berliner Olympiastadion schauen, sondern auch Politiker in Madrid und Barcelona. Der Club aus der Metropole Kataloniens hat die Chance, beim Sieg im Finale der Champions League das Triple perfekt zu machen: die spanische Meisterschaft, den nationalen Pokal und die Nummer eins in Europa innerhalb einer Saison. Doch werden längst nicht alle spanischen Fans dem FC Barcelona mit den beiden südamerikanischen Superstars Messi und Neymar die Daumen drücken, erst recht nicht viele Politiker in Madrid. Der FCB gilt als Hochburg des katalanischen Separatismus, man befürchtet, ein weiterer Sieg des Clubs werde allen in Barcelona Auftrieb geben, die die Loslösung vom spanischen Staat fordern.

Die Sorge ist begründet: Vor einer Woche fand das Pokalendspiel zwischen dem FC Barcelona und Athletic Bilbao statt, Austragungsort war ausgerechnet das Camp Nou, das Stadion des FCB. Als vor Spielbeginn König Felipe VI. in der Ehrenloge begrüßt wurde, ertönte von den Rängen ein Pfeifkonzert, das auch während der danach gespielten spanischen Nationalhymne anhielt. In Madrid empörten sich Politiker und Publizisten über die "Attacke auf das höchste Staatsorgan sowie ein wichtiges Staatssymbol", wie es die nationalkonservative Tageszeitung La Razón nannte. Abgeordnete kündigten einen Gesetzentwurf an, der das Auspfeifen des Königs und der Hymne zum Straftatbestand macht.

Das Pitada (Pfeifkonzert) beschäftigt auch noch vor der Partie in Berlin die Leitartikler. Auf die Ermittlungen der Justiz wegen des dubiosen Finanzgebarens des FCB anspielend hielt die linksliberale Madrider Tageszeitung El País den katalanischen Fans vor: "Aber wegen des schmutzigen Geldes und der Korruption in euren Clubs pfeift ihr nicht. Ihr pfeift nur, wenn euch gesagt wird, das dies zu eurem Recht gehört zu entscheiden." Dieses "Recht zu entscheiden" reklamiert der katalanische Regionalpräsident Artur Mas, dem die Zentralregierung und das Verfassungsgericht in Madrid verboten haben, eine Abstimmung über die staatliche Souveränität anzusetzen.

Die katalanische Tageszeitung Ara , die energisch gegen Madrid streitet, veröffentlichte Umfragen zu der Debatte: Fast 70 Prozent der Befragten waren gegen ein Gesetz über Pfeifkonzerte. Bei einer Telefonabstimmung eines Senders in Madrid war das Ergebnis genau umgekehrt. Mit Empörung vermerkte La Razón, dass der legendäre Barca-Verteidiger Carles Puyol die pfeifenden Fans verteidigte: "Das ist ein Ausdruck der Meinungsfreiheit" Puyol ist den Deutschen gut in Erinnerung, weil er per Kopfstoß im Halbfinale der WM 2010 in Südafrika den Siegtreffer für Spanien erzielte,

Für La Razón steht fest, dass der FCB einen wichtigen Part in diesem "Versuchslabor einer neuen nationalistischen Gesellschaft" übernommen hat. Ara bestätigt diese Befürchtungen mit einem Appell an die Fans, im Berliner Olympiastadion und beim Fanfest auf dem Flughafen Tempelhof "Flagge zu zeigen", nämlich die katalanische: gelb mit vier schmalen roten Streifen. So sah in der vorletzten Saison das Auswärtstrikot des FCB aus, er hat damit manche Kommentatoren in Madrid und anderen spanischen Städten zur Weißglut getrieben. So wird es an diesem Samstagabend wohl so sein, dass alle Italiener, auch die Römer, Mailänder und Neapolitaner, hinter Juventus Turin stehen, aber auch viele Fans aus Madrid, Sevilla oder Valencia bei einer Niederlage der Katalanen nicht gerade in Tränen ausbrechen werden.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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