Meine Presseschau:One-Man-Show

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(Foto: N/A)

Die österreichische Politik erlebt derzeit turbulente Zeiten. Seit das Ende des langjährigen Bündnisses zwischen der ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ feststeht, diskutiert die Presse die Tragweite des Geschehenen.

Ausgewählt von Anna Dreher

Vor eineinhalb Wochen trat der Vizekanzler und Parteichef der konservativen ÖVP, Reinhold Mitterlehner, zermürbt von dem lange schwelenden Streit der regierenden rot-schwarzen Koalition zurück. Da betrat Außenminister Sebastian Kurz auch diese Bühne und machte sie zu seiner. Die ÖVP gleicht seither einer One-Man-Show. Und Kurz weiß zu unterhalten. In der Rede nach seiner Nominierung vom ÖVP-Bundesvorstand zum neuen Parteichef Mitte Mai sprach er sich für Neuwahlen des Parlaments aus, die inzwischen für den 15. Oktober terminiert wurden. Damit beendet Kurz das seit 2006 regierende Bündnis mit der sozialdemokratischen SPÖ.

Der Falter, die politisch links orientierte Zeitung aus Wien, macht aus den Geschehnissen der vergangenen Tage einen "Kurzkrimi" und beschreibt die Vorgänge in der ÖVP als "Geschichte einer Partei, die sich einem neuen, jungen, unverbrauchten Messias dankbar vor die Füße wirft, erlöst von ihren alten Lasten". Auf Kurz selbst lasten die Zukunftshoffnungen der Konservativen, er ist ihr Shootingstar, ihr möglicher nächster Kanzler. Der 30-jährige Politiker, seit vier Jahren Außenminister, hat die ÖVP schon nach kurzer Zeit in die "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" umbenannt. Mit dieser Personalisierung gibt er den Ton im beginnenden Wahlkampf vor. Österreichs Medien begrüßen diese Wendung, es wird ein Dreikampf zwischen Kurz, SPÖ-Chef und Kanzler Christian Kern und dem Chef der rechtspopulistische Partei FPÖ, Heinz-Christian Strache, erwartet. Dieser sprach im krone.at-Talk bereits von einem Wahlziel von 27 Prozent - bei der Wahl 2013 kam seine Partei auf 20,5 Prozent, Umfragewerte zeigen, das Straches Wunsch nicht unrealistisch ist. Bis diese Ergebnisse feststehen, vergehen allerdings noch ein paar Monate und der Kurier blickt dieser Zeit bang entgegen. "Die jetzt fahrlässig freigegebene Lizitiererei im Parlament und der kommende Wahlkampf werden uns den 15. Oktober mit jedem Tag mehr herbeisehnen lassen." Es sei verständlich, wenn sich viele angewidert von der Aufstachelei (Lizitiererei) abwenden würden.

Sebastian Kurz könnte dann jedenfalls zum jüngsten Kanzler der Geschichte werden - sein erklärtes Ziel. Dass er wenige Tage nach seiner Nominierung zum ÖVP-Chef sagte, nicht er, sondern Justizminister Wolfgang Brandstetter werde bis zur Wahl das Vizekanzleramt übernehmen, nahmen einige zum Anlass, ihm die Qualifikation zum Erreichen seines politischen Ziels abzusprechen. Kern erklärte, sein Appell an Kurz, Verantwortung zu übernehmen, sei nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Der Standard schreibt, für den Fall, dass die letzten Tage der Koalition doch im Chaos versinken, habe Kurz damit vorgesorgt: "Der Mann, der in der ÖVP alles alleine bestimmen möchte, verweigert sich dem Vizekanzlerposten, um irgendwie doch nicht dabei gewesen zu sein. Aus taktischer Sicht ist das vielleicht superschlau - in der Sache aber inkonsequent und einigermaßen feig."

Aber wer ist dieser junge Politikstar inzwischen überhaupt? Der Standard vergleicht ihn mit Frankreichs neuem Präsidenten Emmanuel Macron ("jung und fesch"). Vieles aus seinem Programm klinge liberal. Aber er bewundere eben auch den ungarischen Premier Viktor Orbán wegen dessen harter Linie in der Flüchtlingsfrage. Kurz habe sich kritisch in Europafragen geäußert und offenbar keine Berührungsängste mit der FPÖ. Wie tickt die umbenannte ÖVP unter ihm, neue Bewegung oder doch Traditionspartei in neuem Gewand? Ein bisschen Zeit, diese Fragen zu beantworten, bleibe den österreichischen Wählern noch.

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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