Meine Presseschau:"Le Pen allemande"

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Christian Wernicke ist SZ-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Kohle beschäftigte ihn schon als Lokalredakteur im Ruhrgebiet, vor über drei Jahrzehnten war er mehrmals „unter Tage“. Wernicke ist DoppelÖko: diplomierter Ökonom und klimabesorgt. (Foto: N/A)

Betont gelassen hat Frankreich in dieser Woche den politischen Erdrutsch östlich des Rheins zur Kenntnis genommen. Schließlich meint man das, was da aufbricht mit der AfD, von daheim seit Jahr und Tag zu kennen.

Ausgewählt von Christian Wernicke

Keine Panik! Betont gelassen hat Frankreich in dieser Woche den politischen Erdrutsch östlich des Rheins zur Kenntnis genommen. Vor zehn oder zwanzig Jahren hätte ein tektonischer Rechtsruck, wie er am vorigen Sonntag bei den Wahlen in drei Bundesländern das deutsche Nachbarland erschütterte, in Paris vielleicht noch Ängste geschürt - vor einem neuen Nationalismus oder der Wiederkehr alter Gespenster. Jetzt aber, im März 2016, bleiben die Franzosen ruhig. Schließlich meint man das, was da aufbricht mit der Alternative für Deutschland in Magdeburg, Mainz oder Stuttgart, von daheim seit Jahr und Tag zu kennen: Die AfD wird schlicht als deutsche Spielart des rechtsextremen Front National (FN) gedeutet.

Die halblinke Tageszeitung Le Monde bietet ihren Lesern gleich zwei Lesarten des AfD-Triumphs. Wenn nun - "wie in anderen Ländern Europas und vor allem auch in Frankreich" - nebenan die Populisten marschierten, so sei dies zunächst nur "eine traurige Normalisierung Deutschlands". Für "zwingender" hält Le Monde freilich eine zweite Erklärung: Das Wahlergebnis sei "ein Referendum über die Willkommenspolitik gegenüber den Flüchtlingen". Diese Sicht teilen alle französischen Korrespondenten. Auch der rechtskonservative Figaro schreibt davon, dass die Deutschen ihre Kanzlerin "abgestraft" hätten - um dann respektvoll hinzuzufügen: "Merkel hält an ihrer Politik fest."

Die AfD fasziniert die Franzosen, eben weil man sich zu Hause seit 30 Jahren mit dem FN herumschlägt. Hinzu kommt, dass an der Spitze der deutschen Alternativ-Partei eine Frau steht. Auch das zwingt zum Vergleich. "Ist Frauke Petry dabei, zur deutschen Marine Le Pen zu werden?", fragte sich Nathalie Versieux, die Berliner Korrespondentin der linken Libération - und ließ die AfD-Chefin selbst antworten: "Marine Le Pen polarisiert zu sehr", grenzt sich Petry energisch ab von der FN-Vorsitzenden, "Sie ist rechtsextrem, sie geht zu weit."

Dennoch, das Etikett klebt. In allen Zeitungen, im Radio und im Fernsehen begegnet man der "Le Pen allemande". Das meinen die Kollegen nicht böswillig, es gibt ja durchaus Ähnlichkeiten: Wie Le Pen wettert Petry gegen Europa und gegen Überfremdung, und wie die FN-Chefin inszeniert auch die AfD-Heldin ihre Kampagnen "als Kampf der Kleinen gegen die Großen" ( Figaro), als Ringen zwischen Volk und etablierten Volksparteien. Beide Frauen geben an, sie hegten Sympathie oder Bewunderung für Russlands Autokraten Wladimir Putin. Und beide wählten sich als Lebenspartner einen Mann aus den Reihen der eigenen Bewegung. Weil Petry neulich erklärte, bei der Verteidigung deutscher Grenzen sei "der Einsatz der Waffe zulässig", titelt L'Humanité über Petry: "Eine Strategin des Hasses". Exakt dasselbe würde das kommunistische Blatt auch über Le Pen schreiben.

Nur, solch gallige Kritik bleibt die Ausnahme. Der Populistin aus Sachsen wird vom Figaro wie von Libération zwar wortgleich vorgehalten, sie haben mit der xenophoben Pegida-Bewegung in Dresden "geflirtet". Unterm Strich aber halten die französischen Medien die Deutsche für "weniger schwefelig" als die eigene Landsfrau. Petry kommt zugute, dass sie fließend Französisch spricht. Eine Reportage für die Abendnachrichten des Fernsehsenders von France 2 präsentierte die AfD-Vorsitzende im O-Ton. "Ich glaube nicht, dass der Islam mit der deutschen Kultur vereinbar ist", sagte Petry da und fügte hinzu, dass "der traditionelle Islam sehr verschieden ist von der europäischen Kultur." Die Kollegen versendeten es dankbar.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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