Meine Presseschau:Kollektiver Selbstmord

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(Foto: sz)

Italiens Journalisten verzweifeln am Niedergang der Fluglinie Alitalia. Fatal und selbst verschuldet sei dieser.

Ausgewählt von Oliver Meiler, Rom

Alitalia flattert wieder. Und die Italiener sind einmal mehr angehalten, um das Überleben ihrer Fluggesellschaft zu bangen. Seit vielen Jahren geht das schon so, das Drama ist reich an merkwürdigen Episoden und vermeintlichen Epilogen. Diesmal aber ist die Lage dermaßen prekär, dass die vielen Sinnbilder aus der Luftfahrt, die sonst in solchen Fällen von der Presse bemüht werden, zu kurz greifen: Turbulenzen etwa, oder Sinkflug. Il Messaggero, die Zeitung aus Rom, schreibt von einem "kollektiven Selbstmord", den die Belegschaft von Alitalia nun begangen habe. Das klingt definitiv, fatal und, vor allem, selbst verschuldet. In einer Abstimmung hat die Mehrheit der 12 000 Arbeitnehmer den Rettungsplan des Unternehmens abgeschmettert: mit 67 Prozent "No". Es wäre eine moderate Sanierung gewesen für eine Firma, die täglich zwei Millionen Euro verliert. 900 Mitarbeiter hätten entlassen werden sollen, die Verbliebenen sollten eine Lohnkürzung von durchschnittlich acht Prozent hinnehmen. Im Gegenzug hätten die Investoren zwei Milliarden Euro ins Unternehmen gepumpt - für eine letzte Chance. Vermittelt hatte den Plan die Regierung; mitgetragen wurde er von allen großen Gewerkschaften. Und so hielt es keiner für möglich, dass die Arbeitnehmer Nein sagen würden.

Doch offenbar gaben sich viele der Hoffnung hin, dass es wieder einen "Plan B" geben würde, wie die linke Zeitung La Repubblica es nennt, eine allerletzte Chance. So war das schließlich immer gewesen. Früher rettete der Staat die Airline jeweils mit einem Griff in die Steuerkasse. Seit Alitalia aber ein Privatunternehmen ist, geht das nicht mehr. Nun wird es drei Zwangsverwaltern der Regierung unterstellt. Die "Commissari" werden versuchen, einen Käufer zu finden - sonst wird Alitalia verschwinden. Eine Verstaatlichung schließt die Regierung aus.

"Es gab Zeiten", schreibt die bürgerlich-intellektuelle Zeitung Il Foglio, "da war Alitalia der Glanz Italiens in der Welt. Nun ist sie die Metapher für alles, was schiefläuft in diesem Land." Die Gesellschaft, die ihren ersten Flug vor genau siebzig Jahren operierte, am 5. Mai 1947, von Turin über Rom nach Catania, wurde schon früh zum Spielball von Politikern und Ministern. Sie beschenkten ihre Klientel mit Posten im Unternehmen und betrieben Wahlkampf mit dem Stolz auf Alitalia. Das ging immer. Die "Compagnia di bandiera", die Gesellschaft mit dem trikoloren Heckflügel, war eine Fahnenstange in der Welt und sollte das ewig bleiben. Gewerkschaften und Mitarbeiter beharrten auch dann noch auf ihren Privilegien, als allen längst klar war, dass sich die Firma sie nicht mehr leisten konnte.

Rentabilität schien nie ein wichtiges Argument zu sein. Die Frivolität von Spitzenmanagern, die sich bei Alitalia über die Jahre hinweg so häufig abwechselten wie Trainer von Fußballvereinen, hatte System. Ihre strategischen Fehler sind ungezählt: Doppelungen im Betrieb, unterschätzte Konkurrenz von Billigfliegern und Schnellzügen, verpasste Allianzen. Repubblica schreibt von einem "typisch italienischen Schlamassel", einem "hässlichen Film", den man schon zu oft gesehen habe. Die Analyse ist einhellig, quer durch die Presse. Der Corriere della Sera sieht in Alitalia den "Spiegel eines Landes, das sich auf sich selber zurückzieht".

Der vielleicht letzte Akt, das denkwürdige Nein zum Rettungsplan, gereicht dem Messaggero zur Gewissheit, dass aller Sinn für Realität abhandengekommen sei. "Der Wahnsinn ist emblematisch für die gesamte Geschichte, das logische Ende einer langen Kette von Fehlern." Außer natürlich, es gibt dann doch wieder einen Plan B. Oder einen Plan C oder D oder E.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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