Meine Presseschau:Israels Streitkultur

Lesezeit: 2 min

(Foto: N/A)

Die Demokratie des jüdischen Staates lebt von seiner Streitkultur. Politische Debatten werden heftig und grundsätzlich geführt. Und meistens enden sie bei der Frage, ob die Demokratie nicht am Ende sei.

Von Peter Münch

Israels Demokratie lebt von der Streitkultur. Jeder hat zu allem mindestens eine feste Meinung, und vertreten wird sie oft nach dem rheinischen Imperativ, wonach eine starke Behauptung immer besser ist als ein schwaches Argument. Für die Debatten, sprich den Streit, finden sich stets neue Themen, die mit existenzieller Schärfe, intellektuellem Tiefgang, aber nicht immer großer Nachhaltigkeit abgehandelt werden. Das kann vom Preiskrieg um Schokopudding bis zum Bombenkrieg in Gaza gehen. Doch am leidenschaftlichsten wird in Israels Demokratie darüber gestritten, ob die Demokratie in Gefahr ist.

Jüngst bot sich dazu wieder ein Anlass, als die linke Gruppe Breaking the Silence unter Beschuss aus dem rechten Lager geriet. Die Organisation wurde vor mehr als zehn Jahren von israelischen Soldaten gegründet, um Auswüchse der Besatzung öffentlich zu machen. Sie sammelt Zeugenaussagen, die kein gutes Licht auf die Armee werfen. Finanziert wird sie unter anderem aus Mitteln der EU. Nun wurde sie von gleich mehreren Regierungsmitgliedern der antiisraelischen "Hetze" beschuldigt. Die rechtsextreme Organisation "Im Tirtzu" stellte sie in einem Video als vermeintliche ausländische Agenten und Terrorhelfer an den Pranger. Die Diskussion ist voll entbrannt um die Frage, wie weit das Recht auf freie Meinungsäußerung geht - und ob die von manchen als Verrat empfundenen Papiere von Breaking the Silence dadurch gedeckt sind.

Im Massenblatt Jedioth Achronoth geht der populäre Kolumnist Ben-Dror Yemini, Autor eines viel beachteten Buchs über die antiisraelische "Lügen-Industrie", scharf ins Gericht mit den linken Aktivisten. "Ihre Mission ist es, Israel als Monster erscheinen zu lassen, und das geht nicht ohne Lügen", schreibt er. "Breaking the Silence sucht nach den Ausnahmen, bläht sie auf, vernebelt den Hintergrund und erschafft so das Bild einer Armee, die pausenlos Verbrechen verübt." Sein Fazit: "Die Hamas braucht keine Propaganda-Abteilung: Sie hat Breaking the Silence." Seine Warnung: "Wir sind verrückt geworden. Israel macht den Lügen auch noch Beine. Hier geht es nicht um Demokratie. Es geht um eine Episode in einer Parade der Dummheit."

In der aufgeheizten Diskussion haben sich allerdings auch einige hochrangige Ex-Offiziere sowie zwei früher Chefs des Inlandsgeheimdienstes auf die Seite von Breaking the Silence gestellt. Ben Caspit vertritt deren Position in Maariv: "Ich habe schon oft gegen sie angeschrieben, und sie können einen verrückt machen. Die Mitglieder von Breaking the Silence übertreiben, sie nerven, und das Schlimmste ist, dass sie auf internationale Foren rennen und uns schaden", erklärt er. "Aber der Profit überwiegt den Schaden, und es ist ein moralischer Profit. Alle Nicht-Juden, die den Leuten von Breaking the Silence zuhören, müssen am Ende sagen, dass ein Land, das solche Soldaten hat, nicht so verabscheuungswürdig sein kann, wie sie gedacht haben."

Es bleibt der linksliberalen Zeitung Haaretz vorbehalten, der Gruppe aus Überzeugung beizuspringen. Ihr Militär-Experte Amos Harel klagt über "McCarthy-artige Versuche", die Kritiker mundtot zu machen, deren Veröffentlichungen "unbequem, aber in vielem wahr" seien. "Schießt nicht auf Breaking the Silence", fordert er, "sie sind nur die Boten." Der Publizist und frühere Arbeitspartei-Politiker Avraham Burg schließlich hebt in Haaretz die Diskussion dann auf die grundsätzliche Ebene, auf der sie in Israel immer landet: Er konstatiert einen "kalten Bürgerkrieg" zwischen den mächtigen Rechten und schwachen Linken - und warnt: "Israels Demokratie liegt im Sterben."

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: