Meine Presseschau:Europas Mann in Berlin

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Christian Wernicke ist SZ-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Kohle beschäftigte ihn schon als Lokalredakteur im Ruhrgebiet, vor über drei Jahrzehnten war er mehrmals „unter Tage“. Wernicke ist DoppelÖko: diplomierter Ökonom und klimabesorgt. (Foto: N/A)

Die Kür von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD hat in Europas Medien ein ungewöhnlich starkes Echo gefunden. Besonders die Franzosen vergleichen die deutsche Sozialdemokratie mit der eigenen zerstrittenen Linken.

Ausgewählt von Christian Wernicke, Paris

Martin Schulz wird nicht Bundeskanzler. Er ahnt es selbst, und alle Welt weiß das. Da ist es umso erstaunlicher, welches Echo die Nachricht vom neuen Spitzenkandidaten der alten SPD rund um die Erde auslöste: Die Washington Post, die Canberra Times wie auch die Website von China Daily in Peking hielten es für wichtig, ihren Lesern mitzuteilen, dass im fernen Deutschland nun jemand anders gegen Angela Merkel verlieren wird.

Dass vor allem europäische Zeitungen dem Nachfolger von Sigmar Gabriel viele Zeilen widmeten, liegt natürlich an dessen politischer Herkunft. Der Mann aus Aachen hat sich als Präsident des EU-Parlaments einen Namen gemacht, "der brodelnde Schulz ist innerlich mehr europäisch als deutsch", glaubt die halblinke Le Monde zu wissen. Im Leitartikel klingt regelrechte Zuneigung an zu diesem Intimus von Frankreichs unglücklichem Präsidenten François Hollande. Und in einem Seitenhieb auf die eigenen Sozialisten, die sich gerade gegenseitig zerfleischen, bewundert das Blatt, mit welcher Gelassenheit die deutschen Genossen des Wechsel organisiert hätten: "Ohne ein Psychodrama à la française".

Der Sympathie für Schulz folgt noch Mitleid - für die seit Gerhard Schröders Reformen gebeutelte Partei: "Das Schicksal der SPD ist irgendwie ungerecht", be-klagt Le Monde. Es sei der sozialdemokratische Kanzler gewesen, der vor mehr als zehn Jahren mit seiner Agenda 2010 das Terrain für Merkels Erfolg bereitet habe. Und Schröder sei es auch gewesen, der "2003 gegen das amerikanische Abenteurertum im Irak" aufgestanden sei. Das sind, zwischen den Zeilen, klare Hinweise an die eigene Adresse: Der Sozialdemokrat Hollande verzichtete kürzlich auf eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit, weil die Früchte seiner (zu späten) Reformen zu langsam reifen. Und Aufbegehren gegen Washington ist seit November wieder europäische Tugend.

Schulz genießt Respekt, auch auf der Rechten. Vor allem, wenn die Redaktionen ihre Europa-Korrespondenten über Schulz schreiben lassen. Dem Deutschen habe das EU-Parlament viel zu verdanken: "Dieser Präsident hat das Halbrund (zu Straßburg) in einen wahren Schauplatz der europäischen Dramaturgie verwandelt", anerkennt der konservative Figaro in einer Depesche aus Brüssel. Derweil dämpft allerdings der Kollege aus Berlin die Erwartungen: Ein Sieg von Schulz im Herbst sei "nach parlamentarischer Arithmetik quasi unmöglich". Schulz habe jetzt "acht Monate Zeit, um zu beweisen, dass er nicht der Kandidat für die Niederlage ist".

Die britische Presse schaut völlig anders auf den SPD-Mann. Auf der Insel interessiert, dass dieser deutsche Europäer nach dem Brexit-Votum im Juni (anders als Merkel) einen harten Verhandlungskurs gegen London gefordert hatte. Schulz sei "ein gestählter Europhiler" und könne als Kanzler viel Ärger machen, schreibt der Telegraph. Das sieht der Guardian ähnlich - weshalb das linksliberale Blatt die konservative Regierung zur Eile mahnt. Schulz werde - anders als Gabriel - die EU-Politik als Juniorpartner der Koalition nicht mehr Merkel allein überlassen: "Das sollte Londons Verhandlungsführer animieren, in Gang zu kommen" - ehe Schulz in Berlin mitrede.

Zwiespältig klingen manche Kommentare aus dem Süden. "Viele fürchten ein Europa, das von den Deutschen dominiert wird", schreibt etwa El País in Madrid. Nun hätten die Deutschen in Merkel und Schulz gleich zwei fähige Europäer. Italiener, Franzosen oder Spanier "stellen sich selbst in die zweite Reihe". Da sei "besser, dass sich einer kümmert" um Europa.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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