Meine Presseschau:Erdoğans Erbe

Lesezeit: 2 min

(Foto: Bernd Schifferdecker)

Die Türkei hat ein neues Parlament gewählt, Präsident Erdoğan konnte seine Macht ausbauen. Die regierungskritischen Medien geraten unter Druck.

Von Mike Szymanski

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und seine AKP lieferten sich in den vergangenen Wochen nicht nur einen Wahlkampf mit den Oppositionsparteien. Auch große Teile der Presse waren offen zu ihm in Opposition gegangen. Die türkische Gesellschaft ist gespalten in Erdoğan-Anhänger und -Gegner. Das trifft auch auf die Medien zu, von denen die AKP etliche kontrolliert. Einige sogar unter Zwang. Kurz vor der Wahl besetzte die Regierung einen Medienkonzern. Gekämpft wurde und wird mit allen Mitteln. Am längeren Hebel sitzt die Regierung, die am Sonntag die absolute Mehrheit zurückeroberte. Das bekam am Montag nach der Wahl das kleine Wochenmagazin Nokta zu spüren. Es erschien mit der Schlagzeile: "Montag, 2. November, Beginn des türkischen Bürgerkrieges". Die Exemplare wurden kassiert, zwei leitende Redakteure festgenommen.

Die regierungsnahe Zeitung Sabah druckte in ihrer Mittwochsausgabe Fotos von regierungskritischen Künstlern und deren Tweets und machte sie mitten in dieser aufgeheizten Stimmung bei ihren Lesern verächtlich. So viel zur Auseinandersetzung in der Sache.

Überhaupt hatte die türkische Presse, zumindest die AKP-kritische, große Mühe, den überraschend deutlichen Wahlsieg der islamisch-konservativen Partei von Erdoğan zu erklären. Der frühere Hürriyet-Kolumnist Cüneyt Ülsever trat als Kommentator sogar zurück. Auf der Internetseite Odatv findet sich sein letzter Beitrag. "Von heute an höre ich auf, Kolumnen zu schreiben. Das Volk stimmte für eine Ein-Mann-Regierung. Ich kämpfte dagegen und ich habe verloren." - " Elveda" schreibt er: adieu!

"Ich habe von einer anderen Türkei geträumt", schreibt Ayşe Arman in der englischsprachigen Hürriyet Daily News. "Aber dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung." Was bedeutet nun ein Ergebnis von 50 Prozent für Erdoğan, fragt sie. Die Antwort liefert sie gleich dazu: "Nun kann ich machen, was ich will." Sie findet immerhin Trost darin, dass das Leben weitergeht. Mit oder ohne Wahlen. Ihr Kollege Mehmet Y. Yilmaz von der selben Zeitung verfasste einen Brief an den alten und wohl auch neuen Regierungschef Ahmet Davutoğlu. "Egal ob man für Sie gestimmt hat oder nicht, die große Mehrheit der Bevölkerung hat einen Wunsch: Sie will in einem friedlichen und ruhigen Land leben."

Die Erdoğan-treuen Blätter wie Yeni Şafak schwärmen schon davon, dass die AKP die nächsten "fünf bis zehn Jahre" das Land regieren wird, also sogar über den 100. Geburtstag der Republik im Jahr 2023 hinaus. "Wie es aussieht, haben die Wähler die Erfahrung der vergangenen 13 Jahre berücksichtigt, als sie abstimmten", meint Kerem Alkin. Die AKP könne am besten dafür sorgen, dass das Land nicht von der Weltwirtschaft abgehängt werde. "In diesem Land haben die Wähler das letzte Wort", stellt Star-Autor Ardan Zentürk fest und drückt aus, was einem glühende Anhänger in der Wahlnacht ins Gesicht schrien. Diese Wahl solle eine "Lektion für die Imperialisten" sein.

Mit der Rolle der Opposition, insbesondere der pro-kurdischen HDP befasst sich Ezgi Başaran von der Internet-Zeitung Radikal. Die Partei hatte es nur ganz knapp über die Zehn-Prozent-Hürde geschafft. Bei der Juni-Wahl war sie auf 13 Prozent gekommen. Aus Başarans Sicht trägt die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK die Verantwortung für das Scheitern. Sie habe sich auf die Spirale der Gewalt eingelassen. "Das war mehr als Selbstverteidigung." Die Kurden hätten eine Chance vertan, indem die Gewalt in die Städte getragen worden sei: "Das Volk sagte Nein. Das wollen wir nicht noch mal erleben."

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: