Meine Presseschau:Ein Journalist namens Babtschenko

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(Foto: N/A)

Was sich da in den vergangenen Tagen in Kiew abspielte - selbst der Großmeister des Agentenromans, der Schriftsteller John le Carré, hätte es sich nicht besser ausdenken können.

Von Jan Heidtmann

Am vergangenen Dienstagabend war der russische Kriegsreporter und Kremlkritiker Arkadi Babtschenko in seiner Wohnung erschossen worden - so zumindest glaubte es fast die ganze Welt. Doch nur einen Tag später tauchte der Journalist ziemlich lebendig bei einer Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdienstes wieder auf. Wie schon der Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Agenten Sergei Skripal und seine Tochter ist es ein Fall, den sich der Großmeister des Agentenromans, John le Carré, nicht besser hätte ausdenken können. Er sorgte weltweit für Schlagzeilen und beschäftigte auch die Kommentatoren.

Im Guardian überlegte Sophie Pinkham, weshalb kaum jemand zögerte, die Nachricht von der Ermordung als wahr hinzunehmen. "Niemand erwägte, sie zu hinterfragen, sie wirkte schaurig bekannt, so vielen anderen Horror-Geschichten ähnlich, die wir bereits aus Russland, der Ukraine und anderen Ländern gehört haben." So mag der ukrainische Geheimdienst durch seine merkwürdige Operation möglicherweise das Leben von Babtschenko gerettet haben. Zahlreiche Medien gehen wie die Neue Zürcher Zeitung aber davon aus, dass sie dem Image der Ukraine geschadet hat. "Die angebliche Ermordung eines Journalisten ist ein Täuschungsmanöver des ukrainischen Geheimdienstes, der die weltweite Öffentlichkeit ungefragt zum Komplizen gemacht hat", schreibt die Schweizer Tageszeitung. "Damit verspielt Kiew Vertrauen und liefert Russland einen Steilpass."

Auch der Kommentator der New York Times glaubt, dass die russische Regierung von dem Manöver der Ukrainer profitieren wird. Nachdem der Tod des Journalisten vermeldet worden sei, "dauerte es nicht lang, bis die Abwehr-Maschinerie des Kreml hochschaltete: wieder so ein Fall von Phobie gegenüber Russland", schreibt die Times. Richtig problematisch sei es aber geworden, nachdem das ganze Ausmaß der Operation bekannt wurde. "Eine Sache ist sicher: Der Kreml wird diese offizielle Hinterlist nutzen, um zu zeigen, wie weit seine Feinde gehen, um Russland zu beschädigen."

Eine "Parodie auf eine Farce" nannte der Politologe Oleg Nemenskij die inszenierte Ermordung in der kremlnahen Zeitung Iswestija. "Wie kann man nach all dem noch offiziellen Informationen aus der Ukraine glauben?" Aber nicht nur kremlnahe Blätter kritisierten die Vorgänge scharf. Auch die oppositionelle Nowaya Gaseta - lange Arbeitgeber Babtschenkos - erklärte nach einem Chat mit ihm selbst den "Abschied vom Journalisten Babtschenko". Auch die Europa-Redaktion der Web-Seite von Politico stellt auf die Rolle des Journalisten selbst ab. Sie fragt, wie sich dieses groß angelegte Täuschungsmanöver und das Selbstverständnis eines Journalisten vereinbaren ließen. Als eine Antwort zitiert sie Babtschenko selbst: "An jeden, der nun sagt, diese Sache unterminiere das Vertrauen in Journalisten: Was hätten Sie gemacht, wenn sie zu Ihnen kommen würden und sagten, da will Sie jemand töten?"

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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