Meine Presseschau:Amerikanische Debatten

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(Foto: N/A)

Die Stadt New York spricht den Hinterbliebenen eines Polizeiopfers 5,9 Millionen Dollar Schadensersatz zu. Amerikanische Medien diskutieren heftig.

Ausgewählt von Claus Hulverscheidt

Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass Eric Garner sterben musste. Eine Polizeistreife hatte den damals 43 Jahre alten Afroamerikaner festnehmen wollen, weil er im New Yorker Stadtteil Staten Island Zigaretten einzeln und ohne Steuermarke verkauft haben soll. Als Garner sich wehrte, drückte ihn einer der fünf Beamten mit dem Gesicht auf den Boden und hielt ihn im verbotenen Würgegriff. Elfmal, das zeigen Handy-Videos von Passanten, stöhnte der Familienvater "Ich kann nicht atmen". Stunden später war er tot.

Praktisch alle großen amerikanischen Zeitungen haben jetzt an Eric Garner erinnert, nachdem die Stadt New York den Hinterbliebenen 5,9 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen hatte. Aus Sicht der meisten Kommentatoren ist der Beschluss der Behörden richtig, weil, wie die New Yorker Daily News schrieb, nach dem sinnlosen Tod eines Menschen Geld "die einzige Form von Gerechtigkeit darstellt, die noch zur Verfügung steht". Die Vereinbarung mit Garners Familie sei "das finanzielle Bekenntnis der Stadt zu ihrer Verantwortung für den Tod eines Mannes, dessen verhängnisvolle Begegnung mit der Polizei für viele zum nationalen Beispiel einer rassistisch voreingenommenen und völlig übertriebenen Form des Gesetzesvollzugs geworden ist."

Tatsächlich gilt Garner in den USA heute als Symbol für Polizeigewalt gegen Afroamerikaner. Der Fall sticht heraus, weil Garner offensichtlich unbewaffnet und das Delikt, um das es ging, so geringfügig war. Dennoch kam es nach seinem Tod zu weiteren haarsträubenden Fällen, an die jetzt die Los Angeles Times erinnerte: So tötete ein Polizist in Ferguson (Missouri) den unbewaffneten 18-jährigen Michael Brown, in Cleveland (Ohio) erschoss ein Beamter den zwölfjährigen Tamir Rice, der mit einer Spielzeugpistole hantiert hatte. "Die Namen dieser und einer Reihe weiterer prominenten Toter sind zu politischen Parolen geworden", schrieb die Zeitung.

Vor diesem Hintergrund hält die New York Times die Zahlung an Garners Familie für richtig und angemessen - auch wenn sie weder den Schmerz der Hinterbliebenen lindern, noch eine Reihe quälender Was-wäre-wenn-Fragen beantworten könne: "Was, wenn der Polizeibeamte Daniel Pantaleo versucht hätte, Frieden zu stiften und sich nicht auf Garners Hals gestürzt hätte? Was, wenn der Angriff das Leben eines unbewaffneten Mannes nicht erstickt hätte oder Sanitäter ihm zu Hilfe geeilt wären?", so die Times in einem Leitartikel, der die Meinung der Redaktionsleitung wiedergibt.

Zu den wenigen Zeitungen, die die Debatte anders sehen, gehört die New York Post. Zwar spricht auch deren Redaktionsleitung Garners Familie ihr Mitgefühl aus. Eine finanzielle Verantwortung der Stadt aber sieht das Blatt nicht, weil der Getötete eine Mitschuld an der "Tragödie" trage: Die Polizisten seien - anders als Garner das zu Beginn seines Streits mit den Beamten darstellt - nicht vor Ort gewesen, um ihn zu "schikanieren", sondern um den Beschwerden örtlicher Tabakgeschäfte nachzugehen. Auch sei Garner ein Wiederholungstäter gewesen und habe sich aktiv der Verhaftung widersetzt. Solche Fakten passten aber nicht zur "Erzählung" von der Brutalität der Polizei.

Der Democrat & Chronicle aus Rochester versucht, den Blick nach vorne zu lenken und verweist auf die Anordnung von Gouverneur Andre Cuomo, Fälle von Tötungen unbewaffneter Zivilisten künftig vom Generalstaatsanwalt des Bundesstaats New York untersuchen zu lassen. Das, so schreibt das Blatt, sei ein Weg, um die "Vertrauenskrise" zu überwinden und den Bürgern "den Glauben an die Polizei wie an das System zurückzugeben".

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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