Matthias Platzeck:Zuversicht und leise Zweifel

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Drei Monate amtiert nun der SPD-Chef, den alle mögen - und einige einfach zu nett finden.

Nico Fried

Ein fester Stand kann nicht schaden, wenn man es mit Matthias Platzeck zu tun bekommt: Er geht den Leuten nicht entgegen, er rennt eher auf sie zu. Dann plötzlich fährt der große, schlaksige Mann mit einem Lächeln im Gesicht seinen rechten Arm aus, schleudert seine Pranke in die Hand des Gegenübers und reißt sie in einer Bewegung, die in etwa eine Acht mit Dellen nachzeichnet, auf und ab und vor und zurück. Der Vorsitzende der SPD schüttelt Hände wie andere Menschen an den Zweigen eines Obstbaumes rütteln, damit die Früchte auf den Boden fallen.

Seit drei Monaten SPD-Vorsitzender: Matthias Platzeck (Foto: Foto: ddp)

Matthias Platzeck setzt sich an einen Tisch im Hinterzimmer eines Restaurants im Berliner Regierungsviertel. Es ist der Abend seines bislang wohl schwierigsten Tages als SPD-Chef. Am Morgen hat es Stress gegeben wegen der Rente mit 67, Stress mit der Union, Stress mit Franz Müntefering, seinem Vorgänger als Parteichef, der jetzt Arbeitsminister und Vizekanzler ist. Das Problem wurde gelöst, vorerst.

Platzeck bestellt einen Rotwein. "Leicht oder schwer?", fragt der Ober. "Schwer", sagt Platzeck und lacht. Er ist gut gelaunt. Wie meistens eigentlich. Später am Abend, als die Politik der Plauderei Platz macht, wird er immer mal wieder seinen Tischnachbarn mit der Hand auf den Arm hauen, wenn dem ein Scherz gelungen ist. Der SPD-Chef fasst andere Leute gerne an.

An einem solchen Abend kann man geradezu körperlich erfahren, was Matthias Platzeck gemeint hat, als er auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe den Delegierten zurief: "Wir brauchen eine Grundhaltung der Zuversicht und des engagierten Zupackens." Das war damals in Karlsruhe, als sich die SPD ins unvermeidliche Joch der großen Koalition fügte, keine Selbstverständlichkeit.

Botschaften voller Zuversicht

Matthias Platzeck ist auf diesem Parteitag zu einer Art Jürgen Klinsmann der SPD geworden: Wie der Bundestrainer kam er ziemlich unverhofft zu seinem Job, wie Klinsmann löste er einen beliebten Vorgänger ab, und beiden ist auch gemein, dass sie überall, wo sie auftauchen, zwei Stimmungen hinterlassen: Sympathie - aber auch den leisen Zweifel, ob sie ihrer Aufgabe wirklich gewachsen sind.

Karlsruhe war bisher Platzecks bestes Spiel. Müntefering, der nach einer schweren Niederlage im Parteivorstand den SPD-Vorsitz abgab, lauschte mit unbewegter Miene. Und das müde Gesicht Gerhard Schröders, der einen seiner letzten Tage als Kanzler erlebte, war von Falten zerfurcht wie ein ungemachtes Bett. Dagegen beschwor Platzeck Aufbruch, strahlte Selbstbewusstsein aus, verbreitete irgendwie ein gutes Gefühl unter den Delegierten. 90 Tage liegt dieser Parteitag nun zurück. 90 Tage, in denen Platzeck versucht hat, die Wirklichkeit der SPD seiner Stimmung anzupassen. Doch die Wirklichkeit, sie will nicht recht.

Platzecks Botschaften sind - natürlich - voller Zuversicht: Mit der Arbeit an einem Grundsatzprogramm soll sich die zerfledderte Partei wieder selbst finden. Die große Koalition betrachtet er als eine Gratwanderung, aber auch als eine Chance, manche Probleme des Landes zu lösen. Und die drei Leithammel der SPD, er, Müntefering und Fraktionschef Peter Struck werden sich nicht die Hörner aneinander abstoßen, glaubt er. Dass gerade Letzteres sich dieser Tage, seit dem Streit um Münteferings Rentenvorstoß, ganz anders darstellt, wiegelt Platzeck ab. Unterschiedliche Rollen, andere Temperamente, nichts Schlimmes.

In Karlsruhe hat Platzeck Willy Brandt zitiert: "Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer." Wenn man ihm ein, zwei Stunden zuhört, kommt einem eine Variante in den Sinn, eine Art Credo des ewig optimistischen Platzeck: Nichts ist einfach. Aber alles ist lösbar.

Sogar Friede Springer war beeindruckt

Manchmal scheint es geradezu, als verbiete sich Platzeck jede Art von Argwohn. Seit er SPD-Chef ist, trifft er jede Menge Leute, noch mehr und noch wichtigere vermutlich als in Potsdam, und viele dieser Leute sind wahrlich keine Sozialdemokraten. Doch wenn Platzeck von solchen Begegnungen erzählt, schickt er immer Sätze voraus, die seine Gesprächspartner erst einmal in gutem Licht erscheinen lassen: "Das ist übrigens ein netter Typ" oder "Mit dem kann man sehr gut reden".

Auf einem Neujahrsempfang soll er neulich sogar Friede Springer charmiert haben, die Verlegerwitwe und enge Freundin von Angela Merkel. Ganz entzückt sei sie gewesen, erzählt einer, der dabei war. Mancher Polit-Profi steht da fassungslos daneben. "Diese dauernde Freundlichkeit", sagt einer, der Platzeck sehr gut kennt, "das kann einem wirklich auf die Nerven gehen."

Der brandenburgische Ministerpräsident ist als Parteichef ein Seiteneinsteiger in den Politikbetrieb der Hauptstadt. Berlin, das ist die Welt der Undurchsichtigkeit von Angela Merkel und Franz Müntefering, der lauten Propagandisten wie Guido Westerwelle, der raffinierten Rhetoriker wie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Und natürlich der Journalisten, die hinter jeder Diskussion einen Konflikt sehen, Gelassenheit als Zögerlichkeit interpretieren und Zurückhaltung als Führungsschwäche. Wie, bitte, soll einer wie Platzeck hier bestehen?

Er selbst hat sich vorgenommen, all den aufgeregten Ritualen zu widerstehen. Er möchte Ruhe bewahren, wenn es hektisch wird. Er will sich an erster Stelle um die Partei kümmern, die Politik der Koalition in erster Linie denen überlassen, die dafür von der SPD bestimmt wurden, Müntefering und Struck. Und er weigert sich doch tatsächlich, nach noch nicht mal 100 Tagen im Amt darüber zu reden, wie er in 1000 Tagen Kandidat oder sogar Kanzler werden könnte.

Die Frage, was aus ihm einmal werden könnte, begleitet ihn, seitdem er als "Deichgraf" im Oder-Hochwasser über Brandenburg hinaus bekannt wurde. Schon damals hat er das selbe gesagt wie heute: "Ich habe keine Lebensplanung." Schon damals hat es ihm wahrscheinlich keiner wirklich geglaubt.

Der SPD-Chef ist fast immer gut gelaunt (Foto: Foto: ddp)

Einer, der sich so verweigert, kann sich besonderer Aufmerksamkeit sicher sein. Manches hat Platzeck in den letzten Tagen schon über sich lesen dürfen. In der Partei zu wenig präsent, sagen die einen. In der Bundespolitik zu zurückhaltend, mosern die anderen. Der Spiegel verglich Platzeck schon mit Björn Engholm, der vor einigen Jahren als großer Hoffnungsträger an der SPD-Spitze startete und bald darauf jämmerlich unterging. Und manchmal, wenn Platzeck nach abendlichen Terminen fast fluchtartig gen Potsdam aufbricht, kann einen schon das Gefühl beschleichen, dass der neue SPD-Chef sich noch nicht richtig wohl fühlt in der großen Hauptstadt.

Tatsächlich hat es Platzeck schon ein bisschen arg gemütlich angehen lassen und damit selbst zur Vermehrung der Fragezeichen beigetragen. Seine ersten Interviews als designierter SPD-Chef gab er der Bunten und der Super-Illu, nicht gerade Speerspitzen des politischen Journalismus. Nach dem Parteitag in Karlsruhe ging er lange auf Tauchstation. Und als es das erste Mal ernst wurde, wackelte er gehörig: Nach der Kabinettsklausur in Genshagen verteidigte Platzeck die Beschlüsse zur Familienpolitik vehement - ein paar Tage später wusste er auf Druck der Partei mit gleicher Sicherheit zu sagen, warum sie geändert werden müssten.

Stoiber: "Ein Betriebsunfall"

Im Streit um die Rente mit 67 versucht Platzeck nun seit Tagen, die Partei mit ihrem ungestümen Vizekanzler zu versöhnen. Gelungen ist ihm das noch nicht. In der letzten Fraktionssitzung hagelte es Kritik an Müntefering, einen regelrechten "Liebesentzug" diagnostizierte eine Abgeordnete. Platzeck dagegen erntete Lob für seine moderaten Auftritte. Doch der Parteichef dürfte wissen, dass diese Begebenheit seine Aufgabe nicht wirklich erleichtert hat. Es war ein Phyrrus-Sieg. Eine dauerhafte Unwucht an der Spitze könnte die ganze SPD ins Schlingern bringen.

Vor kurzem hatte Edmund Stoiber zu einem Frühstück in die Bayerische Landesvertretung geladen. Es war der Morgen nach der Koalitionsrunde, in der sich Platzeck und einige Unions-Politiker gegenseitig der Wankelmütigkeit geziehen hatten. Der bayerische Ministerpräsident plauderte ein wenig über den SPD-Chef, den er aus den Runden der Ministerpräsidenten kennt. Der Brandenburger sei nie einer der großen Wortführer gewesen, berichtete Stoiber. Und auch ins Amt des Parteivorsitzenden sei er doch eigentlich nur geraten, weil es in der SPD "einen Betriebsunfall" gegeben habe. Ein bisschen schwang in den Worten Stoibers eine Meinung mit, die er keineswegs exklusiv hat: Dieser Platzeck ist zwar ein netter Kerl, aber politisch doch ein Leichtgewicht.

Doch es gibt jemanden, der das offenbar ganz anders sieht: Angela Merkel. In Genshagen war eine hübsche Szene zu beobachten, die manches Raunen darüber zur Gewissheit werden ließ: Für das Familienfoto hatte sich Platzeck ganz vorne neben der Kanzlerin postiert. Franz Müntefering hingegen hatte sich in zweiter Reihe an der Seite versteckt. Merkel persönlich holte den Vizekanzler nach vorne, neben sich.

Merkel weiß, dass Vorsicht geboten ist

An seiner Seite scheint sie sich wohler zu fühlen. Mit Interesse hat man in der SPD zur Kenntnis genommen, dass die Kanzlerin gemeinsame Auftritte mit dem Charmebolzen aus Potsdam lieber meidet. Und kürzlich, als kolportiert wurde, Merkel habe im CDU-Vorstand an der Zuverlässigkeit Platzecks gezweifelt, beeilte sich die Kanzlerin höchstselbst, dem SPD-Vorsitzenden mitzuteilen, dass es sich um eine Falschmeldung handelte.

Merkel dürfte ihre Gründe haben. Sie und Platzeck kannten sich schon, als die damalige Bundesumweltministerin den Landeskollegen im August 1997 an den geborstenen Deichen der Oder besuchte. "Ah, der Herr Platzeck, grüße Dich", hat ein aufmerksamer Reporter der taz seinerzeit Merkels Worte notiert. Die heutige Kanzlerin hat damals erlebt, dass Platzeck auch ganz anders kann: Rigoros sorgte der Umweltminister im Hochwasser für Ordnung, ließ Dörfer räumen und gegen den Willen der Bürger Notdeiche bauen. "Die Kommunisten hätten das demokratischer geregelt", musste sich Platzeck damals anbrüllen lassen.

Ein gutes Jahr später wurde er Oberbürgermeister in Potsdam. Die Stadt war pleite, das Land sowieso. Der neue OB musste handeln und schloss die Philharmonie der Stadt. Viele Musiker verloren ihren Job. Als Protest ketteten sie sich am Gebäude an. Platzeck ist gebürtiger Potsdamer, manche der Demonstranten, die er in die Arbeitslosigkeit schickte, dürfte er persönlich gekannt haben. Der nette Herr Platzeck kann offenbar ziemlich hart sein, wenn es sein muss.

Seit Sonntag dürfte auch Merkel sich darin bestätigt sehen, dass Vorsicht geboten ist. Erstmals ist der SPD-Chef deutlich auf Distanz gegangen zu ihr, ausgerechnet in der Außenpolitik, die der Kanzlerin bislang so viel Lob eingebracht hat. Doch ihre Iran-Politik ist Platzeck ein wenig zu offensiv. Womöglich hält der neue Parteichef das Ende der Schonzeit für gekommen. Für andere - und für sich selbst.

© SZ vom 13.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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