Matthias Platzeck:Voran mit leisen, großen Schritten

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Pflichtgefühl gemischt mit verdecktem Ehrgeiz: Was die Karriere des designierten SPD-Vorsitzenden aus Brandenburg bisher auszeichnet.

Philip Grassmann und Christoph Schwennicke

Fast könnte man meinen, da stünden zwei Verliebte in der kalten Berliner Herbstnacht. Kurt Beck hat die Hände vor dem Bauch gefaltet, und während er in die Mikrofone vor der Brandenburger Landesvertretung spricht, schaut er die meiste Zeit nicht in die Kameras, nein, seine Augen wandern immer wieder zu Matthias Platzeck, so als könne er den Blick nicht von ihm lassen.

Dabei geht es in diesem Augenblick nicht um Lebens-, sondern um Machtfragen. Zwei Stunden lang hat eine Runde von 13 SPD-Spitzenpolitikern über die Nachfolge von Parteichef Franz Müntefering beraten, und nun sagt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck: "Wir haben uns darauf verständigt, dass Platzeck es macht." Gerade mal 36 Stunden hat die SPD gebraucht, um ihre Führungskrise zu beenden und einen Generationswechsel einzuleiten.

Matthias Platzeck ist nun plötzlich dort angekommen, wo er eigentlich noch gar nicht sein wollte, und man sieht dem Brandenburger Ministerpräsidenten die Last an, die er auf Wunsch der Genossen tragen soll. "Das ist eine große Ehre, das sage ich ganz klar", bringt er hervor, und während er weiterspricht, wandern auch seine Blicke immer wieder zu dem massigen Kurt Beck, der im Pulk der Journalisten ruhig steht wie ein Fels in der Brandung.

"Obskure, ostdeutsche Führungsfigur mit struppigem Bart"

Manchmal ist es nicht uninteressant, wie die Journalisten aus dem Ausland ihren Lesern beschreiben, was sich da im fernen Deutschland so tut. So kabelte der Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag an seine Zentrale in London, es sei da eine "obskure, ostdeutsche Führungsfigur", eigentlich nur bekannt für ihren "struppigen Bart und ein scheues Naturell", in den Wirren der SPD-Turbulenzen an die Spitze der Sozialdemokratie katapultiert worden.

Das ist eine reizende und frisch formulierte Beschreibung der Klischees über Platzeck, aber sie geht nicht einmal so tief wie eine gründliche Rasur. Einer, der Platzecks außerordentliche Gaben sehr früh zu schätzen und zu sehen wusste, ist der nur noch wenige Tage amtierende Bundeskanzler.

Schon vor Jahren konnte es passieren, dass er in gemütlicher kleiner Runde saß und über die Zukunft der SPD sinnierte. "Platzeck wird es", sagte er dann und scherte sich nicht darum, sich hierfür vom einen oder anderen am Tisch eine blöde Bemerkung einzuhandeln.

"Allererste Wahl" sei Platzeck, sagte Schröder gelegentlich. Noch vor Wochen im Wahlkampf konnte er sich von dessen Qualitäten ein Bild machen, zum Teil auf eigene Kosten. Bei drei Auftritten, in Jena, Magdeburg und Potsdam, machte Platzeck den Einheizer de Luxe für Schröder, redete die Leute in Stimmung.

Beim dritten Auftritt zu Hause in Potsdam sprach er dann gar eine halbe Stunde und nahm alle Passagen schon vorweg, mit denen Schröder hatte punkten wollen. Der habe einfach abgeräumt und Schröder kaum noch etwas übrig gelassen, sagt noch immer staunend einer aus Schröders Lager mit bewunderndem Unterton über die Keckheit des vermeintlich so harmlosen und nur netten Herrn Platzeck.

Andere in der SPD sagen, Westdeutsche mit ihrer strukturell eher präpotenten Art würden das wahre Wesen und die Qualitäten eines Politikers wie Platzeck nicht auf Anhieb richtig erkennen. Aus eben jenem Grund werde auch Angela Merkel in der SPD und in ihrer eigenen Partei allzu leicht unterschätzt.

In der ausgedünnten jüngeren Generation ein seltenes Edelgewächs

Auch Platzecks mit treuem Hundeblick vorgetragene Beteuerungen, er müsse doch jetzt wirklich nicht und müsse unbedingt eher in Brandenburg bleiben, darf man nicht für die ganze Wahrheit nehmen. Platzeck, heute 51, wusste sehr genau, und das schon seit Jahren, dass er in der ausgedünnten jüngeren Generation der SPD zu den seltenen Edelgewächsen gehört.

Schon früh haben sich die beiden damaligen Nachwuchsstars Platzeck und Gabriel freundschaftlich verbandelt, eine Beziehung, die bei allem Wettbewerb festen Bestand hat. Vor Jahren sagte ein SPD-Vorstandsmitglied durchaus respektvoll über Platzeck und Gabriel: Der eine sei ein Fahrrad, der andere eine Dampfwalze. Nun ist das Fahrrad schneller ins Ziel gekommen.

Vornehme Zurückhaltung als Stilmittel: Platzeck gehört zu der Sorte Politiker, die anstatt "Ich" lieber rufen: "Ich nicht", wenn es um die Verteilung von Posten geht. Immer wieder hat er sich dem Drängen von Bundeskanzler Gerhard Schröder widersetzt, in die Bundespolitik zu wechseln, zuletzt als Außenminister in einer großen Koalition. Wenn Platzeck etwas Neues macht, dann nur, wenn es anders nicht mehr geht.

Das war so, als er 1998 das Brandenburger Umweltministerium verließ, um einen abgehalfterten Potsdamer Oberbürgermeister zu ersetzen. Das war auch so, als er 1999 zum Landesvorsitzenden aufstieg und mit seiner Kandidatur einen internen Machtkampf verhinderte. Und als der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe 2002 zurücktrat, war Platzeck wieder klar, dass er springen musste.

Aus dieser inneren Haltung ist wohl auch der Satz zu verstehen, den er unmittelbar nach der Rücktrittsankündigung von Franz Müntefering sagte: "Ich habe mich vor Verantwortung noch nie gedrückt."

Wenn es sein muss, dann stehe ich als Nachfolger bereit, sollte das heißen. Mit dieser Mischung aus Pflichtgefühl und verdecktem Ehrgeiz hat Platzeck immer wieder ebenso ruckartig wie leise Karriere gemacht. Er ist ein Machtmensch, aber einer ohne Attitüde.

Eine kleine Begebenheit aus diesem Wahlkampfsommer mag das Prinzip dieser souveränen Zurückhaltung illustrieren, aus einer Zeit also, in der Platzeck noch gemeinsam mit dem Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit als die chancenreichste Nachwuchshoffnung für die Ära nach Schröder gehandelt wurde.

"Eine wunderschöne Po- und Busenlandschaft"

Platzeck hatte zum politischen Tagesausflug in die Uckermark nordöstlich von Berlin geladen, und am Ende einer langen Bustour machte man Station bei Bauer Krause in Seelübbe. Um den Fotografen ein schönes Motiv zu bieten, kletterten beide auf einen riesigen grünen Traktor, und natürlich ergab sich dabei sofort die Frage, wer symbolträchtig am Steuer sitzt und wer als Mitfahrer auf dem Trittbrett steht.

Wenn man so will, war es die ländliche Wiederholung einer Szene mit den einstigen Nachwuchshoffnungen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder auf dem SPD-Parteitag in Hannover 1996. Die beiden Konkurrenten drängelten sich damals für die Fotografen im Cockpit eines eigens aufgebauten ICE um den Platz des Steuermanns. Am Ende wechselten sich beide ab.

Auf dem Bauernhof im Jahr 2005 unterblieb eine vergleichbare Rangelei. Wowereit kletterte wie selbstverständlich hinters Steuer, während sich Platzeck höflich mit dem Trittbrett zufrieden gab. Dafür erklärte er seinem Gast, wie man so ein Gerät überhaupt bedient. Und so, gleichsam im Vorübergehen, stellte der Gastgeber die Hausordnung wieder her.

Einst hat sich Platzeck halb scherzhaft als "Provinz-Ei" bezeichnet, und das ist wohl insofern zutreffend, als ihm sein Land wirklich ans Herz gewachsen ist. Als "Einer von uns" wurde er auf Wahlplakaten angepriesen, und wenn er durch Gegenden wie die Uckermark reist, kann er schon mal sinnlich werden.

"Eine wunderschöne Po- und Busenlandschaft" sei das, pries er die hügelige Gegend seinem Reisegefährten Wowereit. Und zu dieser Verbundenheit mit dem Land passt auch, dass er seinen neuen Posten an der Parteispitze als Ehrenamt versteht, während sein eigentlicher Job für ihn der des Ministerpräsidenten ist.

Er selbst würde es wahrscheinlich nie so deutlich sagen, aber Platzeck sieht seine Aufgabe auch darin, nach den weitgehend verschenkten zwölf Jahren unter dem vorigen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe das Land zu erneuern.

Vor zwei Wochen saß er mit seinem CDU-Koalitionspartner und Innenminister Jörg Schönbohm auf einer Pressekonferenz, um Bilanz zu ziehen, ein Jahr nach der gewonnenen Landtagswahl. Es war viel von "Erneuerung aus eigener Kraft" die Rede, von der Umstellung der flächendeckenden Wirtschaftsförderung auf einige Schwerpunkte und davon, dass die "Gießkanne im Schuppen" bleiben solle.

Es gibt dagegen viel Widerstand, aber Platzeck ficht das nicht an. Er geht nach der Methode vor, die ihm schon in den Wahlkämpfen Anerkennung eingebracht hat: Er schenkt den Menschen reinen Wein ein, ohne je zu vergessen, sie auch für ihre Leistungen zu loben.

"Ich bin nicht Jesus"

Den Rückhalt in den eigenen Reihen hat er dafür. Kabinett und Fraktion hat er auf allen wichtigen Positionen mit Vertrauten oder wenigstens Verbündeten besetzt, und dieser Umstand mag ihm in Zukunft dabei helfen, mit der Doppelbelastung als Partei- und Regierungschef fertig zu werden.

Auch die Zusammenarbeit in der großen Koalition, die Platzeck seit 2002 führt, läuft weitgehend reibungslos, und das war nicht immer einfach bei dem ebenso wertkonservativen wie hemdsärmeligen Preußen Jörg Schönbohm. Doch nach Anfangsschwierigkeiten hat sich ein solides Vertrauensverhältnis gebildet.

Manchmal mag es einem schwindelig werden angesichts des steilen Aufstiegs des Matthias Platzeck, der 1988 mit der Gründung einer Potsdamer Bürgerinitiative zur Stadtsanierung begann. Im März 1990 zog er für die Bürgerbewegung Bündnis90 in die DDR-Volkskammer ein, wechselte im Herbst in die brandenburgische Landespolitik und wurde im Kabinett Stolpe gleich Umweltminister.

Eine Laune der Natur sorgte dafür, dass Platzeck 1997 bundesweite Bekanntheit erlangte, als er sich bei der Oderflut als pragmatischer Krisenmanager bewährte. Da war er schon längst in der SPD. Aus Protest gegen die Fusion mit den westdeutschen Grünen hatte er 1993 Bündnis90 verlassen und war 1995 in die SPD eingetreten.

Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Wenn Platzeck Mitte November auf dem Bundesparteitag der SPD zum Vorsitzenden gewählt sein wird, kann man davon ausgehen, dass mit seiner Karriere noch lange nicht Schluss ist. Denn so wie die Dinge liegen, hat er beste Chancen, der nächste Kanzlerkandidat zu werden.

Auf die Zukunft angesprochen, äußert sich Platzeck wie immer zurückhaltend: "Ich bin nicht Jesus", pflegt er zu sagen. Man muss aber weder Messias noch Prophet sein, um vorauszusagen, dass vieles auf ihn zuläuft.

© SZ vom 3.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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