Massentourismus:Wir sind dann mal weg

Lesezeit: 2 min

Zu viele Jakobspilger: In Spanien wird gegen Urlauber protestiert.

Von Sebastian Schoepp

Wer vor zwanzig Jahren auf dem Jakobsweg durch Spanien nach Santiago de Compostela pilgerte, konnte sich Gastfreundschaft und Anteilnahme gewiss sein: Man wurde von schwarz gekleideten Greisinnen geherzt, weil es Glück bringt, einen Pilger zu umarmen. Bäuerinnen fütterten einen mit Suppe, an Regentagen füllten Kellner die Trinkflasche zum Trost gratis mit Brandy auf. Heute hingegen muss man als Pilger befürchten, mit gereckter Faust empfangen zu werden. In der Stadt Logroño im Nordosten Spaniens macht eine Bürgerinitiative gegen den Massentourismus auf dem Jakobweg mobil. "Stop Gentrifiación" protestiert dagegen, dass Altstadtquartiere zu Pensionen und Traditionskneipen zu Hipstercafés werden. Die Pilgerroute verkomme zur Partyzone.

Damit liegt Logroño im Trend. Mit 80 Millionen Touristen rechnet Spanien dieses Jahr - ein historischer Rekord. Für die immer noch unter den Folgen der Immobilienkrise leidende Wirtschaft ist das ein Labsal, im Tourismus entstehen dringend benötigte Jobs. Doch die Auswüchse nehmen zu: die Innenstädte von Barcelona, Madrid oder Málaga sind fast reine Airbnb-Zonen, wo Einheimische kaum noch Wohnraum finden, weil die wenigen Mietwohnungen zu Ferienquartieren umgewidmet werden. Immer häufiger sieht man Anwohner mit Transparenten: "Der Tourismus tötet unser Viertel!" Exzesse saufender, bleicher Horden fachen Gegenwehr an. In Barcelona überfielen Vermummte kürzlich einen Touristenbus, zerstachen Reifen, besprühten Scheiben.

Aber Logroño? Das ist ein eher verschlafener Ort in der Region La Rioja, wo der Pilger Rast macht, bevor er sich auf den entbehrungsreichen Marsch durch die glühenden, baumlosen Weiten Kastiliens begibt. Störche nisten auf den Dächern, das Umland ist im Sommer eine Wüstenei, im Winter matschig und neblig. Vor dem Boom des Jakobswegs drohte die Stadt zu veröden, noch in den 1990er-Jahren war das Zentrum marode, Läden waren geschlossen, Häuser verfielen.

Dann kamen Pilgerbücher von Paulo Coelho und Shirley MacLaine oder Hape Kerkelings "Ich bin dann mal weg", die dem mittelalterlichen Pfad zu weltweiter Popularität verhalfen. Einst halbverlassene Orte haben wirtschaftlich enorm davon profitiert. Trotzdem würden manche Einwohner von Logroño die Pilger inzwischen lieber auf eine Umgehung in die staubige Ebene des Ebro schicken. Der Sinneswandel hat damit zu tun, dass der Jakobsweg am eigenen Erfolg erstickt. Seit den 1990er-Jahren hat sich der Pilgeransturm verdreißigfacht, jedes Jahr gibt es Rekorde, 2016 kamen fast 280 000 Wanderer in Santiago an.

Zwar loben in Dutzenden Internetforen noch immer viele Pilger die spirituelle Kraft und den persönlichen Gewinn der Selbstüberwindung, fast 800 Kilometer zu Fuß bezwungen zu haben. Doch es häufen sich Klagen über die Balgerei um Schlafplätze, Kommerz, Wanzen in Herbergen und gestresste, zähnefletschende Hofhunde. Der französische Schriftsteller Jean-Christophe Rufin schrieb nach einer Pilgerreise 2015 desillusioniert: Es heiße, der Jakobsweg lasse Emotionen aus grauer Vorzeit aufleben. "Ich würde sagen, es dauert ungefähr zwei Stunden, bis man auf dem Boden der Tatsachen zurück ist.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: