Massenentführung im Irak:Großteil der Opfer frei, Polizisten unter Verdacht

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Nur wenige Stunden nach einer spektakulären Massenentführung in Bagdad sind zahlreiche Opfer wieder freigekommen - fünf Polizisten wurden nach Medienberichten verhaftet.

Nach der spektakulären Massenentführung in einer Behörde in Bagdad ist ein Großteil der mehr als 100 verschleppten Beamten in der Nacht zum Mittwoch wieder freigekommen.

Aus dem Kulturinstitut in Bagdad wurden mehr als 40 Menschen entführt. (Foto: Foto: dpa)

Der staatliche Fernsehsender Al-Irakija zitierte einen Sprecher des Innenministeriums, der erklärte, die Mehrheit der Entführten sei von "Truppen des Innenministeriums in verschiedenen Stadtteilen Bagdads befreit worden".

Ein Regierungssprecher hatte zuvor bereits berichtet, 20 Entführte seien freigelassen worden. Auch Polizisten stehen unter Verdacht, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Der Nachrichtensender Al-Arabija berichtete, fünf Beamte seien festgenommen worden, weil sie möglicherweise in die Entführung verwickelt seien.

Bewaffnete Männer hatten am Morgen mehr als 100 Beamte, Experten und Besucher aus dem Institut verschleppt. Die Kidnapper seien mit mehreren Fahrzeugen vor dem Gebäude vorgefahren und hätten die Wachleute überwältigt. Anschließend hätten sie alle Frauen in einem Zimmer eingeschlossen und die Männer verschleppt.

Zahl der Entführten unklar

Bildungsminister Abed Thejab sprach zunächst von etwa 150 Entführungsopfern, am Abend ging die Regierung von höchstens 50 Verschleppten aus. Etwa 20 von ihnen seien wieder freigelassen worden.

Ein Polizeisprecher sagte, der Überfall auf das Forschungsgebäude in der Innenstadt habe etwa 20 Minuten gedauert. Die Angreifer hätten gegen 9:30 Uhr (Ortszeit) die umliegenden Straßen abgesperrt. Die vier Wachleute, die das Institut sichern sollten, leisteten seinen Angaben zufolge keinen Widerstand.

Bei den Verschleppten handelt es sich um männliche Mitarbeiter und Besucher der Forschungseinrichtung, die unter anderem für die Vergabe von Stipendien an Professoren und Studenten zuständig ist.

Die etwa 80 bewaffneten Entführer hätten zum Teil Uniformen einer Spezialeinheit des Innenministeriums getragen, sagte Hochschulminister Abed Thejab al-Adschili. Beobachter vermuteten, dass es sich bei den Entführern tatsächlich um Polizisten handelte. Die Spezialeinheit des Innenministeriums wird von den Sunniten-Parteien oft als verlängerter Arm der schiitischen Partei-Milizen bezeichnet.

100 Tote bei Angriffen und Anschlägen

Allerdings benutzen Terroristen im Irak häufig auch gestohlene oder nachgemachte Uniformen. Ein Sprecher des Hochschulministeriums erklärte, das Innen- und Verteidigungsministerium hätten zugesichert, alle Ausbildungsstätten besser zu schützen. Darum würden die Universitäten am Mittwoch ihren normalen Betrieb wieder aufnehmen. Seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein sind im Irak Dutzende von Professoren ermordet worden.

Weiteren Anschlägen und Angriffen im ganzen Land fielen wieder mehr als 100 Menschen zum Opfer. Der blutigste Anschlag wurde an einer Verbindungsstraße aus der Bagdader Innenstadt in das schiitische Armenviertel Sadr City verübt: Bei der Explosion einer Autobombe wurden nach Polizeiangaben 21 Menschen getötet und 25 verletzt.

Weitere sieben Menschen wurden bei einem Selbstmordanschlag in Sadr City getötet. Bei Gefechten mit US-Truppen in der Stadt Ramadi kamen laut Polizei und Rettungskräften am Dienstagmorgen mehr als 30 Iraker ums Leben. In der Nähe von Mandali an der Grenze zum Iran überfielen Unbekannte einen Kleinbus und ermordeten sieben Insassen. In verschiedenen Teilen des Landes wurden wieder mehr als 30 Leichen von Gewaltopfern entdeckt.

Blair: Schlüsselkonflikt Israel-Palästina

Der britische Premierminister Tony Blair hat unterdessen seine Forderungen nach verstärkten Anstrengungen der USA bei der Überwindung des israelisch-palästinensischen Konflikts bekräftigt. Dies sei von zentraler Bedeutung für die Beendigung des Blutvergießens im Irak, sagte er nach Angaben seines Sprechers bei einer Anhörung durch US-Experten.

Blair habe bei der Videokonferenz mit der Studiengruppe für den Irak unter Leitung des früheren US-Außenministers James Baker "wiederholt" darauf hingewiesen, dass der Israel-Palästina-Konflikt "das größte Einzelproblem" im Nahen Osten sei.

Fortschritte bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts könnten gemäßigte muslimische Staaten dazu bewegen, eine Beendigung des Chaos im Irak zu unterstützen, erklärte Blair den Angaben zufolge.

Ausdrücklich nannte Blair Syrien und Teheran. Die beiden Länder müssten durch die USA vor die "strategische Wahl" gestellt werden, Teil einer Lösung des Irak-Problems zu werden oder sich in die Isolation zu begeben.

Blair hatte schon am Montagabend in einer Rede in London für eine Einbindung Syriens und des Irans geworben und Teheran sogar eine "neue Partnerschaft" vorgeschlagen.

Als Voraussetzungen für eine "neue Partnerschaft" nannte Blair, dass Teheran die Unterstützung des Terrorismus im Irak und im Libanon beenden sowie sich im Streit um sein Atomprogramm an internationale Verpflichtungen halten müsse. Andernfalls drohe dem Iran als Konsequenz die internationale Isolation.

Zugleich forderte der britische Premierminister die Regierung in Damaskus auf, eine "konstruktive Rolle" in der Region zu übernehmen.

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