Marco W. in der Türkei inhaftiert:Die wunderbare Welt der forschen Wünsche

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Sex mit einer 13-Jährigen ist auch in Deutschland strafbar. Trotzdem fordern deutsche Spitzenpolitiker von der Türkei forsch, den in Antalya einsitzenden Marco freizulassen - was die Lage des 17-Jährigen kaum verbessern dürfte.

Oliver Das Gupta

Als mit wochenlanger Verspätung der Fall Marco W. jetzt die Bundesrepublik erreichte, empörten sich deutsche Politiker der Reihe nach.

So erklärte Außenminister Steinmeier, sich "mit Nachdruck" für die Freilassung des 17-Jährigen einzusetzen; SPD-Fraktionschef Struck warnte die Türkei davor, die Causa könnte die Beziehungen verschlechtern; für Unionskollege Kauder zeige der Fall, dass der Weg der Türkei in die EU noch weit sei. Und Niedersachsens Ministerpräsident Wulff sprach davon, dass "der Junge zu seinen Eltern nach Hause und nicht ins Gefängnis" gehöre. Von kulturellen Unterschieden war die Rede.

In vielem irren sich die Herren Politiker. Auch hierzulande wäre der Fall Marco W. ähnlich wie in der Türkei behandelt worden. In Deutschland sind sexuelle Handlungen - gleich welcher Art - mit Personen unter 14 Jahren strafbar. Das unabhängig davon, ob es zum Geschlechtsverkehr gekommen ist.

Folglich dürfte es einem türkischem 17-jährigen Urlauber in Deutschland ähnlich ergehen: Einer Anzeige würden Ermittlungen folgen, der verdächtige Junge würde festgenommen werden - um ihn an einer Ausreise zu hindern.

Die Ahndung einer solchen Handlung kann drastische Folgen haben: In Paragraph 176 des deutschen Strafgesetzbuches ist eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren festgelegt. In Anatolien ist man sogar milder: Das türkische Strafgesetz geht bei Kindesmissbrauch von einem Strafrahmen von drei bis acht Jahren für Erwachsene aus, sagt der Stuttgarter Strafrechtler Christian Rumpf.

Das dürften auch die Herren Kauder, Steinmeier, Wulff und Struck wissen. Stören scheint sie es nicht. Im Fall Marco mischt die Politik munter mit - schließlich sorgen sich die einen um katastrophale Umfragewerte und die anderen pflegen womöglich antitürkische Reflexe ihrer Wählerklientel.

Kontraproduktive Sprüche

Gewiss: An den Zuständen in türkischen Gefängnissen, an der quälend langsamen Justiz des Landes gibt es ebenso viel zu kritisieren wie am überbordenden türkischen Nationalismus.

Aber gerade weil Ankara auf dem Weg nach Europa ist, weil sich langsam, aber sicher Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in der türkischen Gesellschaft den Weg bahnen, ist es schädlich, von der türkischen Politik zu verlangen, der Justiz vorzugreifen.

Das Verhalten der genannten deutschen Politiker ist besonders fragwürdig, weil sie keine Rücksicht auf den Betroffenen nehmen. Marco sollte ein faires wie unpolitisches Verfahren erhalten. Mit populistischen Sprüchen hilft man ihm nicht. Im Gegenteil: Die Türken schalten erfahrungsgemäß auf stur. Die europaskeptischen Eliten in Ankara fühlen sich in ihrer Angst vor Einmischung bestätigt.

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